Wolf unter Wölfen
Hauswände, nein, der Dunst wurde dichter, die Sonne blasser. Die Hitze, die sie ständig in die überhitzte Stadt schleuderte, löschte sie aus.
Noch war nichts von Wolken zu sehen. Vielleicht lauerten sie schon hinter den Häuserreihen, geduckt längs dem verborgenen Horizont, bereit, hochzusteigen, sich mit Feuer, Donner und strömender Nässe zu ergießen, vergeblicher Einbruch der Natur in eine künstliche Welt.
Wolfgang Pagel geht darum nicht schneller. Zuerst ist er ohne bestimmtes Ziel losgegangen, nur aus dem Gefühl heraus, daß er in jener Herrschaftsküche nicht mehr sitzen dürfe. Dann, als ihm plötzlich das Ziel seines Marsches klar war, ging er darum nicht schneller. Er ist immer ein gemächlicher Mensch gewesen, mit Wissen und Bewußtsein war er langsam, gerne machte er eine Handbewegung, ehe er auf eine Frage Bescheid gab: das schob die Antwort ein wenig hinaus.
Auch jetzt geht er langsam; er schiebt die Entscheidung ein wenig hinaus! In der Küche, beim Gespräch mit demblinden Kinde hatte er noch gemeint, die Sorge um Petra anderen Menschen überlassen zu müssen. Er hatte nämlich gedacht, er könne Petra nicht helfen. Hilfe für ein Mädchen ohne Kleider, ohne Essen, mit Schulden konnte nur Geld heißen, er aber hatte kein Geld. Dann aber war ihm eingefallen, daß er doch Geld hatte oder, wenn auch nicht Geld, so doch etwas, das ebensoviel wert war wie Geld. Um es genau zu sagen, hatte von Zecke ihn auf den Gedanken gebracht: er besaß ein Bild. Dieses Bild, Junge Frau am Fenster, gehörte unbestreitbar ihm. Er erinnerte sich wohl, wie seine Mutter, als er ins Feld ging, gesagt hatte: »Dieses Bild gehört jetzt dir, Wolf. Denke im Felde immer daran: Vaters schönstes Bild wartet hier auf dich.«
Er fand es nicht sehr schön, aber es würde seinen Marktpreis haben. Zecke würde er den Gefallen nicht tun, aber es gab Kunsthändler genug, die einen Pagel gerne nahmen. Wolfgang entschied sich für einen großen Kunsthändler in der Bellevuestraße. Dort würde man es bestimmt verschmähen, ihn zu übervorteilen, ein Pagel war auch ohne Übervorteilung ein Geschäft.
Es würde zahlenmäßig eine unerhört große Summe dafür geben, Hunderte von Millionen vermutlich (eine Milliarde?!), aber er würde nichts von dem Geld anrühren, nicht ein Schein sollte gewechselt werden! Sogar zu Fuß würde er in die Georgenkirchstraße gehen – ist man von Dahlem in die Stadt zu Fuß gegangen, kann dieses letzte Stückchen Weg auch nichts bedeuten. Nein, kein Schein würde gewechselt – mit der ganzen ungeheuren Summe wird er die Wartende überwältigen!
Pagel geht dahin durch die glühende Stadt Berlin, ohne Eile und ohne anzuhalten. Er denkt seine Pläne viele Male durch, es gibt mancherlei dabei zu erwägen. Aber am besten gefällt ihm doch der Augenblick, wenn er ihr eine Unsumme, Scheine über Scheine, auf den Tisch legt, besser noch: auf die im Bett Liegende herabregnen läßt, daß sie ganz im Gelde verschwindet, in der Dreckhöhle mit Geldzugedeckt wird. Diesen Augenblick hat er oft geträumt. Früher hatte er gemeint, es würde der Spielgewinn sein. Nun wird es anderes Geld sein, aus dem Verkauf eines väterlichen Bildes. Erspieltes, den drei Raubvögeln gewissermaßen entrissenes Geld – das wäre freilich noch schöner gewesen. Nun,
der
Gedanke ist endgültig vorbei, »daran« wird nicht mehr gedacht!
So geht er dahin, Wolfgang Pagel, Fahnenjunker a. D., Spieler a. D., Liebhaber a. D.. Er hat wieder mal nichts getan, er geht nur, geht von hier nach dort, von dort nach hier. Vormittags ist er noch gefahren, auch da hatte er Pläne, aber erst diese jetzt sind die richtigen. Er hat die vorzüglichsten Absichten, er geht ohne Hast. Er ist behutsam, im Gleichgewicht mit sich, völlig zufrieden mit sich. Er wird ein Bild verkaufen, zu Geld machen, das Geld wird er dem Peter bringen – großartig! Nicht einen Augenblick kommt ihm der Gedanke, daß seinem Peter vielleicht gar nichts an dem Gelde liegen könnte. Er bringt ihr Geld, viel Geld, mehr Geld, als sie je in ihrem Leben besessen hat – kann man mehr für sein Mädchen tun?! Die Welt jagt, der Dollar steigt, das Mädchen hungert – er geht gemächlich, denn was er tun wird, ist so gut wie getan. Er hat keine Eile, es hat alles seine Zeit, wir sind noch immer zurechtgekommen!
Und nun biegt er in die Tannenstraße ein, die nur eine Sackgasse ist. Er geht die paar Schritte, schließt die Haustür auf und steigt die alte Treppe zur Wohnung der
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