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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Demütigung völlig von Sinnen. »Soll ich dir’s schwarz auf weiß zeigen?! Da, kannst du lesen, dudummes Luder? Da, den Brief hat mir dein gnädiges Fräulein geschrieben!« Er reißt den Brief aus der Tasche, fetzt ihn auf. »Kannst du lesen –? Deine Violet! ›Deine‹ unterstrichen, siehst du das, Glotzauge?! Da, lies mal: ›Liebster! Allerliebster!! Einziger!!!‹ – Siehste die Ausrufungszeichen?! Da – nee, alles brauchst du auch nicht zu lesen – da das noch: ›Ich habe dich ja sooo lieb!‹« Er wiederholt es: »Sooo – na, ist das Liebe? Was sagst du nun?!«
    Er steht triumphierend da. Seine dicken Lippen zittern, seine Augen funkeln. Das Gesicht ist gerötet.
    Aber die Wirkung seiner Worte ist anders, als er erwartet hat. Förster Kniebusch ist von ihm fortgetreten, gegen die Tür der Schenke hin. – »Nein, Meier«, sagt er. »Das hättest du nicht tun sollen, mir den Brief zeigen und mir das alles erzählen. Was bist du für ein Schwein, Meier! Nee, das will ich nicht gesehen haben, davon weiß ich nichts, das könnte mir Kopf und Kragen kosten. Nein, Meier«, sagt Kniebusch und sieht ihn ganz unverhohlen feindlich an mit seinen alten, etwas blaß gewordenen Augen. »Wenn ich du wäre, packte ich auf der Stelle meinen Koffer und reiste ab, ohne Abmeldung, möglichst weit fort. Denn wenn der Rittmeister das erfährt –«
    »Hab dich doch bloß nicht so, du alter Angsthase«, sagt Meier mürrisch, stopft aber den Brief doch wieder in die Tasche. »Das erfährt der Rittmeister doch nicht. Wenn du die Klappe hältst …«
    »Ich halte meinen Mund schon«, sagt der Förster und will es diesmal wirklich. »Ich verbrenne ihn mir nicht gar so gerne. Aber du, du wirst ihn nicht halten … Nee, Meier, tu einmal was Vernünftiges und fahr ab. Und ganz schnell. – Also, da geht es wirklich los …«
    Die beiden haben nicht mehr auf das Wetter draußen geachtet. Dunkler und dunkler ist der Himmel geworden. Eben hat es taghell in die Gaststube geleuchtet, dann hat es ohrenbetäubend geknattert, und nun bricht es rauschend, prasselnd aus tausend Himmelsquellen.
    »Du wirst doch nicht in das Unwetter laufen!« sagt Meier unwillkürlich.
    »Doch!« sagt der Förster eilig. »Ich lauf schnell zum Schulzen rüber. Ich möchte hier nicht …« Und er läuft schon.
    Negermeier sieht ihn hinter dem dichten Regenvorhang verschwinden. In der Gaststube riecht es nach Alkohol, saurem Bier, Dreck. Langsam macht Meier ein Fenster nach dem andern auf. Er kommt an dem Tisch vorbei, an dem sie gesessen. Unwillkürlich greift er nach der Flasche.
    Aber als er sie am Munde hat, schaudert ihm vor dem Geruch des Alkohols, er nimmt die Flasche und läßt sie auf den Dorfplatz leergluckern. Dann geht er an den Tisch zurück und brennt sich eine Zigarette an. Er greift in die Tasche, zieht den Brief hervor. Der aufgefetzte Umschlag ist endgültig verdorben, und der Brief – er legt ihn mit den langsamen, vorsichtigen Bewegungen des Halbtrunkenen auf den Tisch –, und der Brief ist völlig zerknittert. Er versucht, die Falten mit der Hand zu glätten. Dabei denkt er erschöpft: Was mach ich nur? Was mach ich nur?
    Er merkt, daß es langsam feucht wird unter der glättenden Hand. Er sieht hin. Er hat den Brief in eine Kognaklache gelegt, alles ist verschmiert.
    Was mach ich nur? denkt er von neuem.
    Er stopft das Geschmier wieder in die Tasche. Dann nimmt er seinen Stock und geht auch in den strömenden Regen hinaus. Er will erst mal ins Bett, seinen Rausch ausschlafen.

6
    Der alte Förster Kniebusch rannte, so schnell er nur konnte, durch den immer stärker fallenden Regen nach dem Haaseschen Gehöft hinüber. So unangenehm es für einen alten Mann auch war, bis auf die Haut naß zu werden – so war das noch immer zehnmal besser, als bei diesem Kerl, dem Negermeier, zu sitzen und seine Schmutzereien anzuhören –!
    Im Regenschatten der Haaseschen Scheune blieb Kniebusch stehen: so wie er jetzt war, konnte er nicht zum Schulzen hineingehen. Er trocknete sich schnaufend und umständlich das Gesicht ab und versuchte die klatschnassen Bartsträhnen zu entwirren. Während er aber all dies ganz mechanisch tat, dachte er immerzu, genauso wie der Negermeier drüben in der Schenke: Was tu ich nur? Was tu ich nur?
    Schwer bedrückte es ihn einmal wieder, daß er keine Seele hatte, der er sein Herz ausschütten konnte; hätte er nur einem Menschen von dieser tollen Sache erzählen können, ihm wäre soviel leichter gewesen! So aber

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