Wolf unter Wölfen
der Berliner Gegend, natürlich, was kann auch aus Berlin Gutes kommen?! –, jetzt hat er eben doch losgemußt. Es hilft ja nichts, er muß, er darf es mit keinem verderben.
Dorf Altlohe kann Kniebusch gottlob links liegenlassen (bildlich gesprochen, von seinem Wege liegt es nämlich rechts), in Altlohe wohnt kein Mensch, der für solche geheime Militärsache in Frage kommt. In Altlohe wohnen lauter Gruben- und Industriearbeiter, also Spartakisten und Kommunisten, sprich Felddiebe, Holzdiebe, Wilderer, meint Herr Kniebusch.
Förster Kniebusch wußte ganz gut, warum er heute früh die Holzdiebe nicht gesehen hatte – es waren eben Altloher gewesen. Die Altloher wurden leicht wütend, sie proklamierten ganz offen so etwas wie ein Recht auf Diebstahl. Förster Kniebusch wußte auch ganz genau, warum er die Flinte im Haus gelassen hatte, aber den Hund mitgenommen: eine Waffe reizte die Leute bloß und machte sie noch bösartiger. Ein Hund aber konnte ein zerrissenes Hosenbein bringen, und eine Hose war eine kostbare Sache!
Bedrückt und langsam schleicht der Förster unter dem immer drohenderen Gewitter durch das Dorf. »Ich möchte doch gerne friedlich in meinem Bette sterben«, hat er eben wieder zu seiner vom Rheumatismus fast gelähmten Frau gesagt. Sie hat genickt und gesprochen: »Wir stehen alle in Gottes Hand.«
Ach du! hätte er am liebsten geantwortet, denn daß Gott mit all diesem gräßlichen Wirrwarr nichts zu tun haben kann, dessen ist er sich lange sicher. Aber mit einem Blick auf das bunte Abendmahl an der Wand schweigt er lieber. Schon längst kann man nicht einmal der eigenen Frau mehr sagen, was man alles denkt.
Er hat sich sein Alter ein wenig anders gedacht, der Förster Kniebusch. Wäre nicht der Krieg gekommen und diesezehnmal verdammte Inflation, säße er längst im eigenen Häuschen in Meienburg, ließe Dienst Dienst sein und Holzdiebe Holzdiebe und kümmerte sich nur noch um seine Bienen. Aber das kann sich wohl ein jeder Mensch leicht ausrechnen, wie vorzüglich sich in diesen Zeiten von einer Altersrente verhungern läßt. Und das Sparbuch liegt zwar noch immer, sorglich vor Dieben verborgen, zwischen den Bettlaken im Wäscheschrank seiner Frau, aber die Endsumme, etwas über siebentausend Mark, Mark für Mark in vierzig langen Dienstjahren zusammengekratzt, mag man gar nicht mehr ansehen, sonst kommen einem sofort die Tränen in die Augen. Das wäre ein Häuschen in Meienburg gewesen, sauber wie eine Puppe! Und zum Leben hätte man die Zinsen von der Hypothek gehabt, erste Hypothek, gute Hypothek auf dem Hof des Schulzen Haase hier in Neulohe, pünktlicher Zinszahler, vier Prozent, zehntausend Mark Kapital, ein bißchen Ererbtes und wiederum viel Erspartes – vierhundert Mark im Jahre Ertrag, das wäre ein schöner Zuschuß gewesen zu der Rente!
Aus und vorbei! Unbegreiflich aus und vorbei! Der müde, verbrauchte, alte Mann muß weiter laufen, arbeiten, aufpassen, sich durchschlängeln zwischen den Übergriffen der Leute und den Ermahnungen des Chefs. Nun fürchtet der Ruhebedürftige nichts mehr, als daß er zur Ruhe gesetzt wird – was rettet sie beide alte Leute dann vor dem Verhungern –?! Die beiden Söhne sind im Kriege gefallen, und die Tochter, an einen Eisenbahnsekretär in Landsberg verheiratet, weiß selbst nicht, wie sie mit ihren Kindern satt werden soll. Sie schreibt den Eltern nur, wenn das Schlachten bevorsteht, um an das Fettpaket zu erinnern.
So muß er weiter laufen, der alte Mann, muß sich lieb Kind machen, einschmeicheln, demütig sein – auf solche Weise der drohenden Entlassung vorbeugen. Und wenn solch ein Schnösel von Leutnant winkt, so nimmt man eben die Hacken zusammen und sagt gehorsam: »Zu Befehl, Herr Leutnant!« Weiß man denn, ob der Chef das nicht wünscht?Es ist ein trübseliger Rundgang durch das Dorf. Alle Männer, die der Förster sprechen müßte, sind, obwohl es schon auf sechs Uhr geht und Futterzeit wird, noch auf dem Felde. Oder sie hasten schwitzend an dem Förster vorbei, kaum daß sie mit der Hand winken. Sie haben keine Zeit, denn vor dem drohenden Gewitter muß herein, was nur irgend herein kann.
So muß der Förster seine Bestellung bei den Frauen anbringen, und die nehmen natürlich kein Blatt vor den Mund: Er ist wohl verrückt geworden, jetzt in der eiligsten Erntezeit die Männer um zehn Uhr nachts zum Schulzen zu bestellen?! Natürlich, er hat es gut, er fühlt seine Knochen nicht, er geht spazieren, während andere sich
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