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Wolfgang Ambros - Die Biografie

Wolfgang Ambros - Die Biografie

Titel: Wolfgang Ambros - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ambros
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Aufgaben hat auch nicht er kontrolliert, das hat meine Mutter erledigt.
    Lang habe ich mich sowieso nicht mit schulischen Belangen aufgehalten. Mein Leben hat sich draußen abgespielt, im Freien. So schön das Haus war, ich war immer schon mehr in der Natur daheim als irgendwo zwischen Mauern. Der steile Hang, der ander Rückseite des Gebäudes anstieg, führte direkt ins Abenteuer, das unter jedem Baum lauerte, angefangen bei den drei mächtigen Linden oben auf meinem Hügel. Ich kannte alles und jeden in meinem Freiluftparadies. Den erdkellerartigen Holzschupfen, eine dieser Baulichkeiten, wie es sie im lockeren Sandgestein des Wienerwaldes oft gibt. Ich konnte die Vögel unterscheiden, ich hätte jeden Wurm, den sie gefressen haben, mit Namen rufen können. Dort in Wolfsgraben, hinter meinem Schulhaus, habe ich mich glücklich gefühlt.
    Und dann waren da noch die Nachbarskinder. Treffpunkt war die Kaisereiche, die steht heute noch. Eine Eiche in Form einer Pappel, ein ganz seltenes Gewächs. Hat nicht lange gedauert, und wir haben eine Bande gegründet, eine böse. Der Hösl-Peppi, der Weißmann-Franzi, der Berry und ein gewisser Wowo. Der war schon zehn, wir anderen waren erst sieben oder acht, deshalb hat er typisch auf Leithammel gemacht. Unser Hauptrevier war ein kleiner Steinbruch hinten beim Friedhof. Dort haben sie vor dem Krieg Steine herausgeklopft, für Bildhauer, wie mir gesagt wurde. Für uns war’s ein Klettergarten, ein Bubenspielplatz, eigens für uns in Stein gemeißelt.
    Mit meiner Mutter bin ich auch öfter dort gewesen. Sie ist eine Schwammerlhex, von ihr weiß ich alles über Schwammerln. Die Pilze hat man hier nicht suchen müssen, die sind einem entgegengewachsen. Ich kannte sie auswendig, die guten und die giftigen.
    Leser: »Vermutlich, weil du sie alle probiert hast.«
    Nein, die Schwammerln nicht. Aber die Tollkirschen. Irgendwann hat irgendwer gesagt, die sind giftig, das war schon einmal interessant. Schuld daran, dass ich sofort eine gefressen hab, war aber was anderes. Es war der Schreck fürs Leben.
    Ich war allein unterwegs mit meinem selbst geschnitzten Pfitschipfeil und wollte einen Hasen erschießen. Es gab Unmengen von Hasen in der Gegend rund um den Steinbruch, getroffen hab ich keinen einzigen. Auf einmal höre ich ein Geräusch, steig vom Rad ab, nähere mich dem Unterholz, in dem Moment macht’s Waaaap und es entsteigt dem dichten Gebüsch ein Wildschwein.Wie es mich so anstiert, weiß ich, das ist das Gefährlichste. Dem gehst du weit aus dem Weg. Aber ich steh da, mit dem Rücken zum Baum, mein Radl irgendwo da hinten. Der Eber schaut mich an, ich schau den Eber an. Dann macht er Prraaah und verschwindet im Gebüsch. Ich kann mich kaum rühren vor Erleichterung, auf einmal bleibt er wieder stehen. Und frisst die Tollkirschen, in rauen Mengen. Und was ist? Nix. Denk ich mir: Wenn die Wildsau das Zeug vertragt, wird’s mich schon nicht umbringen.
    Geschmeckt hat’s fürchterlich, gespürt hab ich nichts. Aber irgendwie war es hui, vielleicht war ich schwer auf Trip, aber dafür fehlt dir ja das Bewusstsein in dem Alter, deshalb steckst du’s locker weg. Bist halt vergiftet, hab ich mir gedacht, na ja.
    Zwischen all den Begegnungen mit Hasen und Hirschen, den Wildsäuen und sonstigen Viechern im Wald bin ich Ministrant geworden. Da gab es kein Entkommen, das ist so am Land. Ratschen und Heilige Drei Könige waren die Highlights. Wir sind um die Häuser gezogen und haben überall was gekriegt. Kein Geld, nur Fressereien. Das war nicht so eine Bettelaktion wie heute, das war ganz normal. Ratschenbuam gibt man was, damit sie halt ratschen. Schokolade, winzige Ein-Schilling-Milkas und Eier, vor allem Eier. Jeder von uns hat sein Rucksackerl gehabt und damit haben wir uns dann an unserem geheimen Treffpunkt beim Transformatorhäuschen eingefunden und alles verputzt. Wir haben Eier hineingestopft, bis wir fast zerplatzt sind.
    Aber Ministrant hin oder her, unser heiligster Ort blieb immer noch der Steinbruch. Das war unser Reich, sogar der Förster hat uns in Ruh gelassen. Was vielleicht keine so gute Idee war, weil wir dort klarerweise auch Feuer gemacht haben. Der Wowo hat das gut gekonnt, bei ihm hat es auch gebrannt, wenn der Untergrund nass war. Einmal im Jahr wurde unsere Idylle allerdings für eine Woche gestört.
    Da ist eine Horde Pfadfinder eingefallen, hat den Steinbruch als Lagerplatz benutzt, zwanzig Zelte aufgestellt, ein Riesenfeuer gemacht und wir waren

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