Wolfsangriffe. Fakt oder Fiktion? (German Edition)
Untersuchung historischer Fälle
Bei jeder Studie, die auf historischen Berichten basiert, gibt es potenzielle Fehlerquellen. Diese können durch Übersetzung, Übertreibung oder absichtliche Lügen entstehen. Nachstehende Fehler sind die häufigsten:
Identifizierung
Ein Problem ist die Identifizierung eines angreifenden Tieres. So fällt es zum Beispiel selbst Fachleuten schwer, einen Wolf von einem Wolfsmischling zu unterscheiden. Wie soll dies dann erst ein Mensch beurteilen, der glaubt, angegriffen zu werden? Auch werden Wölfe oft mit Hunden (z. B. Schäferhunden) oder Kojoten verwechselt.
Ebenso kann das Verhalten des angreifenden Tieres, das das Opfer oder der Beobachter beschreibt, entsprechend seiner persönlichen Einstellung zum Wolf stark variieren. Was der eine als »aggressiv« bezeichnet, ist für den anderen vielleicht »neugierig«. Darüber hinaus fehlt dem überwiegenden Teil der Angegriffenen die Fachkenntnis von der Körpersprache eines Wolfes.
Täuschung
Was geschah wirklich mit Personen, die vermisst wurden?
1950 wurde in Polen eine junge Lehrerin als von Wölfen getötet gemeldet. Ihre Schuhe und Handtasche fand man blutverschmiert und mit Bissabdrücken, zusammen mit Kleidungsfetzen und sehr viel Blut. Die Polizei schloss daraus, dass Wölfe, die in der Gegend lebten, sie getötet haben mussten. Vierzig Jahre später kehrte sie gesund und munter nach Polen zurück. Ihr Freund hatte sie in den Westen nach Schweden geschmuggelt und das Gerücht der Wolfstötung in die Welt gesetzt, damit ihre Familie nicht von der Regierung für die Flucht bestraft wurde.
Auch Morde könnten so als Tötungen durch Beutegreifer vertuscht worden sein. Durch einen Fernsehfilm bekannt geworden und immer noch umstritten ist der Fall eines zehn Wochen alten Babys in Australien, das angeblich von Dingos aus dem Zelt verschleppt und getötet wurde. Die Überreste wurden nie gefunden und die Mutter des Kindes wegen Mordes verurteilt und später wieder freigesprochen.
Leichenfraß
In einigen Fällen wurden Leichen oder Leichenteile von vermissten Personen aufgefunden, die Bissspuren trugen. Waren sie von Wölfen getötet oder ihre Körper von den Tieren nur entdeckt und gefressen worden? In Zeiten von Kriegen, Seuchen und großen Hungersnöten vergrub man menschliche Leichen nicht sofort oder auch nicht sicher genug. Es ist daher durchaus möglich, dass Wölfe gemeinsam mit anderen Aasfressern von diesen Leichen gefressen haben. Ob diese an Menschenfleisch gewöhnten Raubtiere auch Menschen getötet haben, lässt sich nicht mehr nachweisen.
Berühmte historische Fälle
Europa hat eine lange Geschichte mit Wölfen. Einst waren sie fast überall verbreitet. Mit zunehmender Besiedlung der Dörfer, Zerstörung der Wälder und der Erfindung besserer, durchschlagsfähiger Waffen wurden auch die Beutetiere der Wölfe immer weiter zurückgedrängt. Als im 18. und 19. Jahrhundert die Populationen von Rot- und Schwarzwild den niedrigsten Stand erreicht hatten, waren die Wölfe gezwungen, sich von Nutz- und Haustieren zu ernähren. Dies führte zwangsläufig zu Konflikten und schließlich zur weitgehenden Ausrottung der Beutegreifer.
Einige historische Fälle von Wolfsangriffen gehören wegen der Anzahl der Opfer zu den spektakulärsten der Geschichte und haben wohl mehr als alle Gerüchte zur Angst vor dem Wolf beigetragen.
Frankreich: Die Bestie von Gévaudan
Über keinen Fall ist so viel geschrieben und veröffentlicht worden wie über die »Bestie von Gévaudan«. Von Juni 1764 bis Juni 1767 wurden angeblich über 100 Menschen in der Region von Gévaudan im südlichen Frankreich in einem Gebiet von circa 700 Quadratkilometer von einem Wolf getötet und gefressen. Der Pfarrer von La Besseyre sammelte Berichte von Augenzeugen und versuchte eine »wissenschaftliche« Beschreibung des Wolfes zu geben: »Das Tier hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Wolf, aber es gibt einige wesentliche Unterschiede. Dieser Menschenfresser bewegt sich nur in großen Sätzen und Sprüngen fort und lässt die Erde unter seinen Schritten erbeben. Rückwärts läuft er ebenso schnell wie vorwärts; er ist viel größer als ein Wolf, vor allem wenn er das Fell sträubt [...] An den Seiten hat er rötliche und schwarze Flecken, der Hals ist dick und sehr kurz, die Schnauze stumpf, der Kopf ist abgeflacht, und ein schwarzer Streifen zieht sich von den Schultern bis zur auffallend buschigen Schwanzspitze.« Mehrere
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