Wolfsblut
Elends schlich auch Wolfsblut fort in die Wälder. Er war durch seine erste Kindheit besser als die andern Hunde für dies Leben vorbereitet. Er war besonders geschickt, die kleinen Lebewesen zu überfallen. Er pflegte stundenlang im Verborgenen zu liegen, um jede Bewegung eines argwöhnischen Eichhörnchens mit einer Geduld zu verfolgen, die nur mit dem ihn peinigenden Hunger sich messen konnte. Selbst wenn das Eichhörnchen sich auf den Boden wagte, war Wolfsblut noch nicht voreilig, sondern wartete, bis jenem der Rückzug auf einen Baum abgeschnitten war. Dann erst sprang er wie ein Blitz aus seinem Versteck hervor und verfehlte auch nie das Ziel.
Soviel Erfolg er auch mit diesen Tierchen hatte, so war es doch nicht zum Sattwerden, denn es waren ihrer zu wenige da. Also stellte er noch kleineren Tieren nach. Sein Hunger war so groß, daß er es nicht verschmähte, die Waldmäuse aus ihren Löchern auszugraben, ebenso wie er es auch nicht unter seiner Würde hielt, mit irgendeinem hungrigen Wiesel, das noch blutdürstiger als er selber war, zu kämpfen.
Wenn der Hunger ihn gar zu sehr quälte, schlich er zum Lager der Indianer zurück, aber er näherte sich ihm nicht zu sehr. Er lauerte im Walde und beraubte die Schlingen und Fallen in den seltenen Fällen, wenn ein Wild sich darin gefangen hatte. Er stahl sogar dem Grauen Biber ein Kaninchen, als dieser, vor Schwäche taumelnd und durch Atemmangel oftmals genötigt sich hinzusetzen, durch den Wald daherkam.
Eines Tages traf Wolfsblut einen jungen Bruder, der schwach und matt vor Hunger und so mager wie ein Gerippe war. Wäre er nicht selber hungrig gewesen, so wäre er vielleicht mitgelaufen und hätte den Weg zu den Brüdern gefunden, nun aber warf er den Wolf zu Boden, tötete und verzehrte ihn.
Das Glück war ihm hold. Immer wenn er am schlimmsten dran war, fand er Beute, auch wollte es der Zufall, daß er dann auf kein größeres Raubtier stieß. Einstmals kam ein Rudel hungriger Wölfe auf ihn losgestürzt, und sie verfolgten ihn lange und grausam; da er aber besser genährt war als sie – denn er hatte in den Tagen vorher einen Luchs verzehrt –, so gewann er ihnen einen Vorsprung ab. Ja, mehr noch, als er im weiten Bogen um sie herumlief, überfiel er einen seiner erschöpften Verfolger. Darauf verließ er die Gegend und wanderte nach dem Tal, wo er geboren war. Hier traf er in der alten Höhle Kische, die wie er die ungastlichen Feuerstätten der Menschen verlassen hatte und in den alten Schlupfwinkel gekommen war, um für ihre Jungen Schutz zu suchen. Allein, nur eines davon war am Leben geblieben, und auch dieses hatte bei der Hungersnot wenig Aussicht leben zu bleiben.
Kisches Begrüßung des nun erwachsenen Sohnes war durchaus nicht liebevoll. Aber Wolfsblut machte sich nichts daraus; er bedurfte der Mutter nicht mehr. Also kehrte er ihr bedächtig den Rücken und trabte das Flüßchen hinauf.
An der Gabelung schlug er den Weg zur Linken ein und kam an das Lager der Luchsin, mit der die Mutter und er einst auf Leben und Tod gekämpft hatten. Hier an verlassener Stätte ließ er sich nieder und ruhte einen Tag aus.
Am Anfang des Sommers, als die Not zu Ende ging, traf er auf Liplip, der ebenfalls in die Wälder geflohen war und ein elendes Dasein geführt hatte. Es geschah ganz unerwartet. Sie kamen in entgegengesetzter Richtung um den Fuß eines steilen Berghanges getrabt, und als sie um eine Felsenecke bogen, standen sie sich plötzlich Angesicht zu Angesicht gegenüber. Einen Augenblick hielten sie erschrocken inne und blickten sich mißtrauisch an. Wolfsblut war in den letzten Tagen sehr erfolgreich gewesen, und er war wohlgenährt. Sobald er jedoch Liplip erblickte, richtete sich unwillkürlich sein Haar am Rücken empor. Das war der körperliche Ausdruck des geistigen Zustands, in den in früheren Tagen ihn Liplips Rauflust und Verfolgungssucht versetzt hatte. Der andere versuchte auszuweichen, doch Wolfsblut stieß ihn so kräftig mit der Schulter, daß jener das Gleichgewicht verlor und auf den Rücken rollte. Ein Biß in den magern Hals, und Liplip rang mit dem Tode, während Wolfsblut mit steifen Beinen und gespanntem Blick rund um den Feind herumging. Darauf setzte er seine Wanderung fort, indem er den Bergabhang entlang weitertrabte.
Einige Tage später kam er an den Rand des Waldes, wo ein schmaler Streifen freien Landes sich nach dem Mackenzie hinabzog. Früher war es dort kahl gewesen, jetzt stand ein Dorf da. Unter den Bäumen
Weitere Kostenlose Bücher