Wolfsblut
blitzenden Zähnen und schlitzte ihm die Wange bis auf den Knochen auf. Er verstand das nicht und zog sich verwirrt zurück.
Allein, Kische war nicht zu tadeln. Eine Wölfin ist nicht so beschaffen, daß sie sich ihrer früheren Kinder erinnern sollte. Also war Wolfsblut für sie ein Fremder, ein Eindringling, und ihre jetzigen Jungen gaben ihr das Recht, seine Zudringlichkeit übel zu vermerken. Eines der Kleinen kam auf Wolfsblut zugewackelt. Sie waren ja, ohne es zu wissen, Halbbrüder. Wolfsblut beroch das Hündchen neugierig, worauf Kische auf ihn lossprang und ihn abermals biß. Er wich weiter zurück. Die alten Erinnerungen kehrten wieder in die Gruft zurück, aus der sie erstanden waren. Er sah zu, wie Kische das Junge leckte und dann und wann innehielt, um ihn anzuknurren. Sie war ihm nichts mehr, er hatte auch ohne sie fertig werden müssen. Was sie ihm gewesen, war dahin; in seinem Leben hatte sie keine Stelle mehr, noch er in dem ihrigen.
Er stand immer noch verblüfft da und wunderte sich, was das alles eigentlich bedeutete, als sie ihn zum drittenmal forttrieb. Er ließ es geschehen, sie war ja eine Hündin, die er nicht angreifen durfte. Er wußte nicht aus Erfahrung, daß es Gesetz sei, daß die Geschlechter sich nicht bekämpfen dürfen, aber ein geheimer Trieb sagte es ihm, ein Instinkt wie der, welcher ihn zwang, nachts den Mond und die Sterne anzuheulen und den Tod und das Unbekannte zu fürchten.
Die Monate vergingen. Wolfsblut nahm an Stärke, Gewicht und Breite zu, und sein Charakter entwickelte sich nach dem Gesetz der Vererbung und dem der Umgebung. Was ihm angeboren, war gleichsam der Lehm, aus dem er geformt war, und dieser konnte in verschiedenen Formen geknetet werden; ihm aber besondere Gestalt zu geben, dazu diente die Umgebung. Wäre Wolfsblut nie zum Feuer der Menschen gekommen, so hätte die Wildnis einen echten Wolf aus ihm gemacht. Nun hatten die Menschen ihm eine andere Umgebung gegeben, und er war zum Hunde geworden, der zwar etwas Wölfisches hatte, aber immerhin mehr Hund als Wolf war.
Also nahm durch die Beschaffenheit seiner Natur und durch den Drang der Umstände sein Charakter immer bestimmtere Formen an. Dem war nicht abzuhelfen. Er wurde immer mürrischer, ungeselliger, einsamer, jähzorniger, und die Hunde sahen bald ein, daß es besser wäre, mit ihm in Frieden als im Streit zu leben, während der Graue Biber anfing, ihn von Tag zu Tag höher zu schätzen.
Nur eine Schwachheit konnte er nicht loswerden; er konnte es nicht vertragen, von den Menschen ausgelacht zu werden. Mochten sie unter sich über alles mögliche lachen, das war ihm gleichgültig, nur nicht über ihn. Das machte ihn wütend. Ernst, würdevoll und düster wie er war, brachte das Gelächter ihn bis an den Rand der Tollheit. Es beleidigte und regte ihn so sehr auf, daß er noch stundenlang nachher sich wie ein Besessener gebärdete. Wehe dem Hund, der ihm alsdann in die Quere kam! An dem Grauen Biber, das wußte er, durfte er sich nicht rächen, der hatte einen Knüttel und seine höhere Macht hinter sich. Aber die Hunde hatten das nicht, und sie flohen, wenn Wolfsblut, durch das Gelächter toll gemacht, auf der Bildfläche erschien.
Im dritten Jahr seines Lebens brach über die Indianer am Mackenzie eine Hungersnot herein. Im Sommer waren die Fische knapp gewesen, und im Winter verließen die Rentiere ihr gewöhnliches Standquartier. Die Elche wurden selten, die Kaninchen verschwanden fast ganz, und die Raubtiere starben oder fielen übereinander her. Nur die Starken blieben am Leben. Die Indianer waren von jeher nur Jäger gewesen, also starben die Alten und Schwachen vor Hunger. Es war viel Jammer und Wehklagen im Dorfe, denn die Frauen und Kinder hungerten, damit das wenige, was noch da war, den hagern, hohläugigen Männern zugute käme, die vergeblich in die Wälder auf Jagd auszogen. So groß war die Not, daß die Menschen das weiche Leder ihrer Mokassins und Handschuhe verzehrten, während die Hunde sich über die Riemen und selbst über die Peitschenschnüre hermachten. Auch fraßen die Hunde einander auf, und die Menschen aßen die Hunde. Die Schwächsten und Wertlosesten von ihnen wurden dann zuerst verzehrt. Die übriggebliebenen Hunde sahen das und verstanden es. Einige der kühnsten und klügsten verließen das Feuer des Lagers, das zur Schlachtbank geworden war, und flohen in den Wald, wo sie jedoch entweder verhungerten oder von den Wölfen zerrissen wurden. Zu dieser Zeit des
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