Wolfsblut
hatte.
Durch solche Erfahrungen begriff er das Gesetz vom Eigentum und die Pflicht, es zu verteidigen. Vom Schutze seines Herrn zur Behütung seines Besitztums war nur ein Schritt, den er schnell machte. Was dem Herrn gehörte, mußte gegen die ganze Welt verteidigt werden, auch auf die Gefahr hin, andere Götter dabei zu verletzen. Eine solche Tat war zwar gefährlich, aber nicht frevelhaft. Zwar war ein Hund den Menschen nicht gewachsen, dazu waren sie zu mächtig, aber Wolfsblut lernte es doch, ihnen unerschrocken und mutig die Stirn zu bieten. Die Pflicht ging über die Furcht, und Diebe lernten das Eigentum des Grauen Biber in Ruhe zu lassen.
Schnell begriff Wolfsblut, daß ein Dieb gewöhnlich auch ein Feigling war, der beim ersten Lärm davonlief, und daß beim Lärmschlagen der Graue Biber ihm in kurzer Zeit zur Hilfe käme. Auch merkte er, daß der Dieb nicht so sehr Furcht vor ihm hatte als vor dem Grauen Biber. Durch Bellen schlug aber Wolfsblut nicht Lärm, denn er bellte nie. Er griff vielmehr den Eindringling sogleich an und versuchte ihn zu beißen. Da er sich um die anderen Hunde nicht kümmerte, sondern einsam und ungesellig lebte, so war er ungemein geeignet, das Eigentum des Herrn zu bewachen, und darin wurde er von dem Grauen Biber bestärkt. Die Folge war, daß Wolfsblut immer wilder, unzähmbarer und einsamer wurde.
Die Monate vergingen, und das Bündnis zwischen Hund und Mensch wurde immer enger. Die Bedingungen waren einfach. Für einen Gott aus Fleisch und Blut tauschte Wolfsblut die eigene Freiheit ein und empfing dafür Speise und Feuer, Schutz und Gesellschaft. Dagegen behütete er das Eigentum des Herrn, schützte seinen Leib, arbeitete für ihn und gehorchte ihm, denn einem Gotte gehören, bringt Dienstbarkeit mit sich. Wolfsblut diente ebensosehr aus Pflicht als aus Furcht, doch nicht aus Liebe. Die kannte er nicht, denn er hatte sie nie erfahren. Kische war nur noch eine blasse Erinnerung. Allein derart waren die Bedingungen, die ihn mit den Menschen verknüpften, als er das freie Leben der Wildnis und den Verkehr mit seinesgleichen aufgegeben und sich dem Menschen unterworfen hatte, daß er den Herrn nicht wieder hätte aufgeben und zu Kische zurückkehren können, wäre sie ihm je wieder begegnet. Seine Treue gegen den Herrn schien ihm ein Gesetz für sich, das höher stand als die Liebe zur Freiheit und zu den eigenen Blutsverwandten.
SECHSTES KAPITEL
Die Hungersnot
Der Frühling war ganz nahe gekommen, als der Graue Biber seine lange Fahrt beendet hatte. Es war wieder April und Wolfsblut ein Jahr alt, als er in das heimische Dorf einzog und Mitsah ihn ausspannte. Obgleich noch nicht völlig ausgewachsen, war er neben Liplip der größte Hund seines Alters. Schon jetzt konnte er sich mit erwachsenen Hunden messen, denn von beiden Eltern hatte er Wuchs und Stärke geerbt, und es fehlte ihm nur noch an Breite. Sein Körper war hager und eckig und seine Stärke mehr ausdauernd als gewichtig. Sein graues Fell zeigte die echte Wolfsfarbe, und dem Anschein nach war er ein echter Wolf. Was vom Hunde er von Kische geerbt, hatte ihm körperlich keinen Stempel aufgedrückt, wenn es auch in seiner geistigen Begabung eine Rolle spielte.
Er wanderte durch das Dorf und sah mit ruhiger Befriedigung die Personen wieder, die er vor der langen Fahrt gekannt hatte. Auch die Hunde besah er sich, junge, die wie er herangewachsen waren, und erwachsene, die nicht so groß und so schrecklich aussahen wie das Bild, das er von ihnen im Gedächtnis trug. Darum hatte er jetzt weniger Angst vor ihnen und schritt mit einer sorglosen Sicherheit unter ihnen herum, die ihm ebenso neu wie angenehm war. Unter ihnen gab es einen alten, grauen Burschen, Besik, der in früheren Tagen ihm nur die Zähne zu zeigen brauchte, um Wolfsblut die eigene Unbedeutendheit fühlen zu lassen, und durch den er nun erfahren sollte, welche Veränderung mit ihm vorgegangen war. Beim Zerlegen eines frisch erlegten Elches sollte Wolfsblut einsehen lernen, wie verändert seine Beziehungen zu den Hunden jetzt waren. Er hatte einen Huf und einen Teil des Schienbeins bekommen, an dem noch ein gutes Stück Fleisch hing. Er hatte sich aus der unmittelbaren Nähe der Hunde entfernt und verzehrte seinen Anteil hinter einem Gebüsch, als Besik auf ihn loskam. Ohne sich lange zu besinnen, hatte Wolfsblut den mutmaßlichen Angreifer zweimal gebissen und war dann zur Seite gesprungen. Dieser war über die Verwegenheit und
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