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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Oehlschläger
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er zur Begrüßung abgenommen hatte, wieder auf.
    »Sie sind das erste Mal hier, nicht wahr?
Auf die Idee, Sie einzuladen, hat mich Ihr Chef, Kriminaldirektor
Steigenberger, gebracht«, fuhr der Jagdherr leutselig fort. »Wir kennen uns
schon seit der Schulzeit, der Hans und ich. Kürzlich begegneten wir uns anlässlich
eines Empfangs in der ›Union‹, und da hat er mir erzählt, dass es so manchen
Grünrock unter seinen Leuten gibt.«
    »Es sind schon einige …«, bestätigte
Mendelski.
    »Nun, da dachte ich mir, ich könnte Ihnen
mit der Jagdeinladung eine Freude machen. Die Polizei ist bei mir ein stets
gern gesehener Gast. Man weiß ja nie …« Von Bartling setzte ein
verschmitztes Grinsen auf. »Vielleicht brauche ich eines Tages Ihre Hilfe. Man
trifft sich ja immer zweimal im Leben.«
    »Ich hoffe nicht«, wiegelte Mendelski ab.
»Zumindest nicht dienstlich.«
    »Entschuldigen Sie bitte«, erwiderte von
Bartling. »Da sind neue Gäste im Anmarsch. – Waidmannsheil, Hubert. Dich
hätte ich ja fast nicht wiedererkannt …«
    Der Jagdherr hatte sich den
Neuankömmlingen zugewandt und ließ Mendelski allein zurück. Der vergrub die
Hände in den Taschen seines Lodenmantels und trat ans Feuer. Neugierig schaute
er in die Runde, um nach bekannten Gesichtern Ausschau zu halten – mit
magerem Ergebnis. Hier im Raum Eschede war er seit ewigen Zeiten nicht jagen
gewesen, bestimmt seit zwanzig Jahren nicht mehr. Doch er erinnerte sich noch
gut an die Episode bei seinem letzten Besuch. Er hatte während einer Drückjagd
den Jagdschriftsteller Goede Gendrich alias Ludwig Dörbrandt kennengelernt, der
damals als pensionierter Förster in Eschede seinen Lebensabend verbrachte.
Gleich im ersten Treiben hatten sie beide zeitgleich und erfolgreich auf ein
und dieselbe Sau geschossen, und es war nachher nicht zu klären gewesen, wer
nun den entscheidenden Treffer gesetzt hatte. Letztendlich hatte der Jagdherr
ihnen beiden Waidmannsheil gewünscht und ihnen jeweils einen Bruch für dasselbe
Stück überreicht.
    Mendelski, für den dies die erste
Gesellschaftsjagd in diesem Herbst war, widmete sich erst einmal der
obligatorischen Begrüßungsrunde bei der übrigen Jagdkorona. Beim fleißigen
Händeschütteln kam ihm zwar das eine oder andere Gesicht bekannt vor, doch die
Namen sagten ihm nicht viel. Schließlich landete er wieder an seiner alten
Stelle beim Feuer.
    Den Wortfetzen der Umstehenden entnahm er,
dass sich die Gespräche überwiegend um Wölfe drehten. Die Nachricht von den
gestern Abend auf der Starkshorner Hirschwiese gesichteten Isegrimen schien
sich unter den Jägern wie ein Lauffeuer verbreitet zu haben.
    Die Starkshorner Hirschwiese war auch
Mendelski ein Begriff. Die weit über die Landkreisgrenzen hinaus bekannte
Freifläche lag direkt an der Landstraße L281 zwischen Eschede und Oldendorf, wo
man während der Hirschbrunft im September nicht nur das charakteristische
Röhren aus nächster Nähe hören konnte, sondern auch meist Rotwild beim
Brunftbetrieb zu sehen bekam. Mendelski war mit seiner Familie schon mehrfach
dort gewesen, das letzte Mal vor zwei Jahren, als seine Tochter Ana für ihr
Bio-Leistungsfach an einer Abhandlung über das heimische Rotwild gearbeitet
hatte. Carmen und Pedro waren auch dabei gewesen. Damals hatten sie zwei
kapitale Kronenhirsche aus weniger als zweihundert Metern Entfernung beim
Kämpfen beobachtet.
    An diesem Morgen interessierte sich jedoch
niemand für Hirsche. Alles drehte sich um die beiden Wölfe. Auf einem über
fünftausend Hektar großen, der Öffentlichkeit weitgehend unzugänglichen
Waldgebiet, dem Schießplatz des Rüstungsunternehmens Rheinmetall nördlich von
Unterlüß, waren dem Bezirksförster Wienfried Häsemeyer kürzlich die ersten
Beweisfotos für die Präsenz eines Wolfes gelungen. Dies hatte nicht nur in der
Kreisstadt Celle, sondern sogar bundesweit ein kolossales Medienecho ausgelöst.
Mendelski hatte die Berichterstattung mit großem Interesse verfolgt. Nun waren
die Wölfe so nah wie lange nicht mehr.
    Ob man heute wohl einen von ihnen zu
Gesicht bekäme, war die am häufigsten gestellte Frage. Und wie würden die Hunde
auf die für sie zwar artverwandte, jedoch bisher unbekannte Wildart reagieren,
wenn die Tiere ihnen während der Jagd über den Weg liefen?
    »Mir ist in Finnland mal ein Wolf
begegnet«, sagte Mendelskis Nachbar zur Rechten unvermittelt. Der kleine,
untersetzte Mann mit Nickelbrille trug einen Lodenmantel, der fast bis

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