Wolfsfieber - Band 2
egal, ob ich wiederkommen oder ob ich für immer wegbleiben würde. Diese Ungewissheit war schmerzhaft. Was dachte er? Wie ging es ihm? Hasste er mich?
Verdammt, ich hatte es schon wieder zugelassen. Meine Gedanken kreisten abermals nur um ihn. Es war wie verhext. Und dann, noch in derselben Nacht, träumte ich sogar von ihm. Das erste Mal, dass ich keine Albträume bekam oder mich verstörende, unzusammenhängende Bilder quälten. Dieser Traum war anders. In meinem Traum waren er und ich am Nordlager. Wir lagen auf einer der Decken, wie schon so oft. Ich trug dieselbe Zweigkrone, wie er sie schon einmal für mich gebastelt hatte, noch bevor wir Liebende geworden waren. Er hielt mich ganz fest im Arm und schlief, während ich wach in den Nachthimmel starrte. Plötzlich fühlte ich einen inneren Zwang, aufzustehen und tiefer in den Wald zu gehen. Als ich, vorbei an unzähligen Bäumen, an eine Lichtung kam, stand ich plötzlich vor einer riesigen Flamme, die sich direkt vor mir auftürmte und unkontrolliert loderte. Ich erschrak und lief den Weg zurück, den ich gekommen war. Doch als ich im Lager ankam, hatte ich meine Zweigkrone verloren und er war verschwunden. Ich konnte ihn nicht wiederfinden, und als ich vor lauter Panik anfing zu schreien, wachte ich mitten in der Nacht auf. Kalter Schweiß klebte an meinen Schläfen und in meinem Nacken. Ich ertrug nicht einmal den Gedanken, Istvan im Traum zu verlieren, wie sollte ich ihn da tatsächlich verlassen, um wieder hier in Wien zu leben und zu arbeiten?
Erschöpft schlief ich wieder ein und wachte erst spät am Vormittag wieder auf, wobei ich mich völlig zerschlagen fühlte. Ich versprach mir selbst, heute nicht über den Vorschlag nachzudenken und mich ganz auf meine anstehende Aufgabe zu konzentrieren. Ich wollte heute nur von Stunde zu Stunde leben und das Konzert so gut wie möglich hinter mich bringen.
Bis zum Abend war es mir gelungen, die Bilder des Traumes zu verdrängen und ich machte mich fertig, um „Young Blood, Old Soul“ im Flex zu hören und ein Interview zu führen. Der Gedanke an meine frühere Routine, an etwas, das ich immer unter Kontrolle hatte, gefiel mir. Ich zog mir ein neues Paar Jeans an und mein Band-T-Shirt mit dem Bild von Blondie darauf. Dann nahm ich mir einen meiner Reporterblöcke und notierte mir einige Details. Auf mein Diktiergerät musste ich verzichten. Bei meinem überstürzten Aufbruch hatte ich nicht daran gedacht, es einzupacken. Ich ging noch die Unterlagen durch, die mir Malz geschickt hatte. Die Band war noch ziemlich unbekannt, aber auf dem besten Weg, sich einen Namen zu machen. Sie spielten vermehrt im Vorprogramm von erfolgreichen anderen Indiebands aus Österreich, Deutschland und Schweden. Es handelte sich um ein Trio: Tom war der Sänger und Gitarrist, Felix am Bass und Jürgen der Drummer. Ich wiederholte mehrmals die Vornamen der Jungs, damit ich später nicht in Verlegenheit kam. Eine alte Journalisten-Marotte von mir. Um halb acht machte ich mich dann auf den Weg und stellte eigentlich keine besonderen Vermutungen an, was diesen Abend anging. Ich erwartete nur, gute Livemusik im Flex zu hören und danach ein halbwegs interessantes Interview zu bekommen. Ich sollte mich irren, wie schon so oft.
Als ich an der Brücke ankam, war es fast schon dunkel und langsam begannen die Musikfans einzutrudeln. Ich stand an der Brückentreppe und sah mir die wilden Graffiti an der Seite an, die einen wie ein Begrüßungskomitee die Treppen hinab zum Donaukanal begleiten. Der Anblick weckte alte Erinnerungen an einfachere Zeiten. An Zeiten, in denen ich nur am Tag Vorlesungen besuchen und nachts von Konzerten berichten musste. Das alles schien mir eine halbe Ewigkeit her zu sein und es kam mir so vor, als wäre es das Leben einer anderen Person, die nicht ich war. Als hätte ich zwar die Erinnerungen dieser Frau, konnte aber keine Verbindung mehr zu ihr fühlen. Zu viel war geschehen. Ich hatte mich sehr verändert. Er hatte mich verändert, ob zum Besseren oder zum Schlechteren, konnte ich nicht sagen. Aber ich war eine andere Frau. Eine Frau, die schon einmal geliebt und verloren hatte. Diese Erfahrungen hinterlassen Narben. Mein Körper war zwar noch immer unversehrt, selbst mein Hals zeigte inzwischen nicht mehr die geringsten Spuren von diesem schicksalsreichen Vorfall, als Istvan, nicht ganz er selbst, von Farkas’ Dämon verwirrt, versucht hatte, mich zu erwürgen. Doch es war meine Seele, die deutliche
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