Wolfsfieber - Band 2
sie immer wieder und schrie in das Handy, als wäre der Empfang schlecht.
Ich wollte ihr antworten, aber meine erstarkten Tränen nahmen mir die Stimme. Ich musste mich entscheiden. Wenn ich Carlas Beistand wollte, musste ich jetzt sprechen. Ich brauchte sie. Die Entscheidung war gefallen, ob gut oder schlecht, spielte keine Rolle mehr.
„Carla, bitte kannst du kommen. Bitte!“, bibberte ich verheult.
„Gott, Joe, was ist passiert? Du klingst furchtbar. Was ist denn los?“, fragte sie panisch und ich konnte die Sorge in ihrer Stimme hören. Sie zerrte an mir wie eine Bleikugel. Ein weiterer Knacks.
„Ich kann’s dir nicht am Telefon erklären. Ich … Kannst du kommen?“, fragte ich sie nochmals und wurde mir erst jetzt bewusst, wo ich eigentlich war. In Wien, über hundert Kilometer von ihr entfernt.
„Ich habe heute frei. Ich kann gleich zu dir fahren. Bist du zu Hause?“, wollte sie wissen und ich konnte hören, wie sie ihre Sachen zusammensuchte.
„Nein, ehrlich gesagt bin ich in Wien, in einem Hotel. Tut mir leid, ich habe es beinahe vergessen!“, versuchte ich stammelnd zu erklären.
„Was? Du bist in Wien und du hast das vergessen? Was zur Hölle ist bei dir los? Wo genau in Wien bist du und wieso?“, fragte sie verwirrt und aufgebracht. Ich hatte sie offenbar furchtbar erschreckt.
„Ich bin in einem Hotel. In der Nähe des Stadtparks. Ich habe die Adresse vergessen, aber es heißt ‚Avita-Traverso‘“, gestand ich ihr und versuchte mich krampfhaft an die Straße und die Nummer zu erinnern. Es gelang mir nicht. Ich musste dumpf klingen, mit der Decke über mir. Ich bemerkte es erst, nachdem meine Stimme sich langsam wieder daran gewöhnte hatte, benutzt zu werden.
„Soll ich zu dir kommen, brauchst du meine Hilfe?“, fragte sie angestrengt. Ich dachte darüber nach, doch dann wurde mir wieder schmerzlich bewusst, dass ich ihr nichts sagen konnte, nichts sagen durfte. Ich hatte einen schrecklichen Fehler gemacht und Carla beinahe da mit hineingezogen. Mein Monster wütete noch immer und schlug jetzt um sich. Das musste ich verhindern. Mein Handy piepse wieder. Der Akku war am Ende, genau zur rechten Zeit.
„Tut mir leid. Vergiss, dass ich angerufen habe. Es geht mir wieder ganz gut. Ich hatte nur einen kuren Aussetzer. Mein Akku ist leer. Ich muss jetzt auflegen. Ich wollte dich nicht stören“, log ich und klappte das Handy so schnell ich konnte zu, ohne Carlas Reaktion abzuwarten.
Sobald ich aufgelegt hatte, wurde ich verdammt wütend auf mich selbst und feuerte das Handy in die Ecke des dunklen Zimmers. Als könnte ich damit ungeschehen machen, was ich gerade verbrochen hatte. So ein dummer Leichtsinn. Ich gab dem Nahrungsmangel die Schuld. Ich musste tagelang nichts gegessen haben. Ab und an trank ich etwas Wasser aus der -Mini-Bar, zu mehr fehlte mir die Kraft und Motivation. Carlas Irritation und Angst in der Stimme hallten in meinem Kopf immer wieder und wieder und brachten dieses elende Gefühl zurück in meinen Körper, der nun wieder in sein Loch zurückkroch. Ich zog meine Beine ganz nah an meinen Bauch und versuchte meinen Kopf so fest ich konnte in das abgenutzte Kissen zu drücken. Es funktionierte nicht mehr. Einmal aufgewacht, konnte ich nicht mehr zurück in meine Trance, die mir vorgaukelte, kaum am Leben zu sein. Carlas verschreckte Stimme und meine spärlichen Bewegungen brachten mich, gegen meinen Willen, zurück ins Leben. Wenn man mein Exil und mein Hausen in diesem Zimmer Leben nennen konnte.
Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit richtete ich mich auf und versuchte aus dem Bett zu steigen. Obwohl ich nun wusste, dass es Morgen war, nahm ich keine Kenntnis davon. Es war zu dunkel und zu still. Ich dachte eine Sekunde darüber nach, die Vorhänge wegzuziehen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Langsam erinnerte ich mich wieder daran, dass es außerhalb dieser vier Wände noch eine Welt gab und dass die Zimmermädchen bestimmt schon schaurige Vermutungen über die Verrückte aus Zimmer 304 anstellen mussten, da sie seit Tagen das Zimmer weder verlassen, noch das „Bitte-nicht-stören-Schild“ abgemacht hatte. Dumm war nur, dass diese Verrückte ich war. Ich, das Monster Joe.
Die Vorstellung, was aus mir geworden war, ließ mich erschaudern. Ja, von mir war nicht mehr viel übrig, auch wenn er versuchte hatte, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Er hatte mir sogar versichert, dass er mich noch immer liebte. Und was hatte ich getan, das Monster?
Ich war
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