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Wolfsfieber - Band 2

Wolfsfieber - Band 2

Titel: Wolfsfieber - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Adelmann
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ungeduldig mit der Hand. Ich wartete solange, starrte ihn in Grund und Boden, bis er es mir langsam und vorsichtig übergab. Als ich meine Hand um das Messer schloss, atmeten alle ein. Und als ich es an meinen Hals führte, hielten alle den Atem an. Jakov sah aus, als würde er mich anspringen. Ich führte die Klinge nahe an meine Kopfhaut. Sie war kalt und ernüchternd. Dann schnappte ich mir die erste Strähne, die ich in die Finger bekam, und schnitt sie ab.
    Erleichtert nahm Jakov mir das Messer weg. Ich kehrte ihnen den Rücken zu und begann damit meine Haarsträhne zwischen seine Finger zu flechten, dann führte ich seine kalten Hände, die noch immer so schön waren, wieder ineinander und küsste sie.
    Mein Abschied.
    „Ich kann nicht dabei sein, wenn ihr …“, mehr brachte ich nicht fertig, als ich Marius mit der Fackel sah. So schnell ich konnte, lief ich wieder in die Dunkelheit und versteckte mich hinter dem Baum.
    Dort hielt ich das Buch, sein Buch, so fest in beiden Händen, dass ich meine Knöchel knacken hörte. Niemand würde mir dieses Buch wegnehmen. Niemand würde es verbrennen. Niemand. Lieber sterbe ich, dachte ich, als zuzulassen, dass es ebenfalls in Flammen aufgeht.
    Am Horizont zog unaufhaltsam der Morgen herauf, doch der tiefe Wald bot noch genug Schatten, um im Schutz der Dunkelheit unbemerkt hinter die dichten Bäume zu schlüpfen.
    Ich entfernte mich immer weiter vom Feuer, das mir mit jeder einzelnen Flamme erneut das Herz brach, um mich hinter einer Baumgruppe auf den kalten Waldboden fallen zu lassen. Ich fühlte nicht die geringste Kraft in meinem tauben Körper. Selbst meine Finger zu bewegen, schien eine sinnlose Kraftanstrengung zu sein. Nur die Hoffnung auf einen Blick in das Buch, in sein Vermächtnis, in alles, was mir von ihm geblieben war, auf seine vertrauten Seiten, hauchte mir wieder Leben ein.
    Ich öffnete es und las das Erste, was ich sah:
    „Ihr Herzschlag beschleunigt sich schon beim Klang meiner Stimme … Gott, alleine dafür liebe ich sie …“ Ich konnte nicht weiterlesen.
     
    Erst vor Kurzem hatte ich noch versprochen, niemanden bloßzustellen, doch ich würde meine Versprechungen brechen. Auch wenn es gegen meine Natur war, so zu handeln. Doch ich würde es tun. Ich würde tun, was ich tun musste. Schon der verschwommene Blick auf seine Handschrift ließ die Tränen erneut über mein Gesicht strömen. Trauer und schiere Verzweiflung drohten mich erneut zu überwältigen. Doch dann sah ich, welchen Schaden meine Tränen auf den dünnen Papierseiten anrichteten. Tropfen fielen auf seine Worte und begannen sie zu verwischen. Seine Gedanken, aufgelöst von meiner Trauer. Seine Worte drohten von meiner Verzweiflung vernichtet zu werden. Das durfte ich nicht zulassen. Hastig wischte ich mir die Tränen mit der flachen Hand weg. Meine nassen Augen trocknete ich so gut ich konnte mit dem Ärmel meiner Jacke, die mir irgendjemand angezogen haben musste.
    Ich wollte in diesem Moment nichts mehr sehen, außer seinen Gesichtszügen, die ich in meiner Erinnerung heraufbeschwor, und nichts mehr hören, außer seiner Stimme, die mit jeder Zeile zu mir zurückströmte. Mit der Erinnerung an den Klang seiner Stimme kam mir auch wieder die Absicht in den Sinn, die ihn ursprünglich zum Schreiben dieser Zeilen veranlasst hatte. Er hatte begonnen, dieses Buch zu schreiben, um alles festzuhalten. Damit jemand wie er Hilfe und Trost aus seinen Kenntnissen schöpfen würde und um sich selbst einen sicheren Hafen zu schaffen. Also beschloss ich diesen Teil seiner Aufzeichnungen Serafina zu übergeben, so wie er es gewollt hätte. Aber im Grunde war ich die Einzige, die den Trost dieser Zeilen verstand und brauchte. Mir wurde klar, dass ich nicht zulassen konnte, dass irgendjemand außer mir las, was er über mich, über uns, geschrieben hatte. Deshalb entfernte ich die Seiten, die er verfasst hatte, seit wir uns begegnet waren, und steckte sie in die Innentasche meiner Jacke, ganz nahe an mein Herz. Doch so wie es nun war, konnte ich den Rest des Buchs nicht lassen. Es gab noch kein Ende. Es war unvollendet. Wie sollte eine verlorene Seele, jemand wie Istvan, daraus Trost finden. Deshalb schrieb ich mit seinem Stift auf die letzte leere Seite:
    „Wer immer das hier liest: Vergib dir selbst und finde jemanden, der dir das Gefühl gibt, dass du jeder Vergebung wert bist. Liebe jemanden, so wie ich es tat. Du wirst es nicht bereuen.“
    Und als ich damit fertig war, wusste ich, dass

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