Wolfsflüstern (German Edition)
im Lauf der Jahre hatte sein Enthusiasmus bezüglich des übernatürlichen Kriegers deutlich nachgelassen.
Trotzdem war Noras Suche nach dem Grab an sich eine solide Sache. Irgendetwas lag jedenfalls an einer noch nicht entdeckten Stätte nördlich des Rio Grande begraben. Vielleicht nicht mehr als ein sehr großer, Furcht einflößend starker und noch tödlicherer Azteke als der Durchschnitt, aber wenn es Matt gelänge, dieses Grab samt Überresten aufzuspüren, könnte er die Theorie seiner Mutter verifizieren. Oder zumindest die Teile, die sich verifizieren ließen. Dann würde sie nicht länger eine Lachnummer sein.
Und er auch nicht.
Seine Mutter hatte die von ihr gefundenen Hieroglyphen übersetzt und eine Liste mit potenziellen Grabstätten erstellt. Sie hatten alle – mit Ausnahme von einer – erforscht, waren jedoch bis dato auf nichts als Steine gestoßen.
Kritiker verwiesen darauf, dass die Spanier die meisten – wenn nicht gar alle – Aufzeichnungen der Azteken zerstört hatten. Dabei handelte es sich um flache ziehharmonikaartige Bücher, bekannt als Codices, die aus Hirschleder oder Agavenpapier bestanden. Alle Texte, die überdauert hatten, waren unter der strengen Aufsicht und oft sogar mithilfe des spanischen Klerus verfasst worden.
Folglich waren die Schriften, auf die Nora Mecate ihr Lebenswerk begründet hatte – Superkrieger? Zauberer? Sonst noch was? –, nichts als ein Schwindel, den irgendein Scherzkeks von einem Priester im fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert ersonnen hatte.
»Schließlich waren die Priester damals besonders für ihren Sinn für Humor bekannt«, spottete Matt.
Seit Noras Tod hatte Matt selbst das Studium der Dokumente übernommen. Er konnte weder einen Fehler in ihren Übersetzungen der geografischen Hinweise noch weitere potenzielle Grabstellen finden.
Darum hatte er nur noch eine allerletzte Chance, um ihre Theorie zu beweisen. Sollte auch diese Location nichts erbringen, bliebe ihm kaum etwas anderes übrig, als den Traum seiner Mutter aufzugeben – was gleichbedeutend mit dem Eingeständnis wäre, dass sie verrückt gewesen war – und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Leider gab es da ein Problem mit der verbliebenen Ausgrabungsstätte.
Matt nahm einen Hochglanz-Flyer aus der mittleren Schublade seines Schreibtischs. Die Vorderseite zeigte majestätische Berge in vier verschiedenen Facetten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter – eine prächtige Farbenvielfalt aus Grün, Blau, Gold, Braun, Weiß, Violett und Orange. Pferde sprangen umher. Er drehte die Broschüre um, um nachzusehen, ob sich dort Hasen tummelten und Vieh graste.
Stattdessen entdeckte er das künstlerische Porträt eines Cowboys, der als Silhouette abgebildet war, den Kopf gesenkt, das Gesicht von einem Hut überschattet. Die Körperkontur entsprach dem Wunschtraum eines jeden Möchtegern-Cowboys.
Auf der Innenseite fand sich der Werbetext in Form von mehreren überaus engagierten Absätzen, die den in Sepia gehaltenen Abdruck eines Gebäudes überlagerten, von dem Matt annahm, dass es sich um das Haupthaus handelte, das ungeachtet der pittoresk-altmodischen Stimmung des Fotos gepflegt und gut instand gehalten wirkte. Der Broschüre zufolge komplementierte eine Gourmetküche die authentische Wildwest-Erfahrung.
»Yee-ha«, machte Matt und rieb den glatten Prospekt zwischen Daumen und Zeigefinger, bevor er ein älteres, weniger glattes, abgegriffeneres Papier aus dem Schreibtisch nahm.
Er war kein Experte auf dem Gebiet der Fotografie, trotzdem war er sich ziemlich sicher, dass es sich bei der Person, die die Aufnahmen für den Flyer gemacht hatte, um dieselbe handelte, die für dieses Foto verantwortlich zeichnete, das Matt vor etwa einem Jahr im Internet entdeckt hatte. Jenes Foto, das mit Nora Mecates endgültiger Übersetzung, die den Standort des Superkrieger-Grabes beschrieb, übereinstimmte.
Irgendwo auf dieser Ferienranch wartete seine letzte Chance, dem Lebenswerk seiner Mutter und seinem eigenen Geltung zu verschaffen. Er hatte seinen Assistenten ein Dutzend bis heute nicht beantwortete Nachrichten auf den Anrufbeantworter sprechen lassen, gefolgt von ebenso vielen nicht erwiderten E-Mails. Schließlich hatte Matt das Ruder selbst in die Hand genommen und begonnen, Briefe zu schreiben, in denen er um die Erlaubnis bat, auf dem Land graben zu dürfen. Er hatte bis heute auf keinen eine Antwort erhalten. Es machte ihn rasend.
Tief im Herzen wusste er, dass sein
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