Wolfsgesang - Handeland, L: Wolfsgesang
Werwölfen, wie sie kämpften, bissen, bluteten.
Unwillkürlich riss ich die Waffe heraus und richtete sie auf seine Brust.
10
Will starrte die Waffe an, dann lachte er. „He, Jess, ist das eine Freundin von dir?“
Was war bloß mit den Leuten in dieser Stadt los? Erschrak denn überhaupt keiner mehr beim Anblick einer Schusswaffe?
„Was zur Hölle tun Sie da?“, blaffte Jessie.
Ich ignorierte sie. „Wo waren Sie letzte Nacht?“
„Hier?“
„Kann das irgendwer außer ihr bestätigen?“
„Was stört Sie an ihr ?“, fragte Jessie.
„Sie lieben ihn. Falls er sich im Mondlicht einen Pelz zulegen sollte, würden Sie ihn decken.“
„Sie hat recht.“ Will sah Jessie mit belustigt hochgezogenen Brauen an. „Das würdest du.“
„Aber das muss ich gar nicht. Du bist nämlich kein Werwolf.“
„Beweisen Sie es“, verlangte ich.
„Das hat er längst.“
„Und wie?“
„Zieh dein T-Shirt aus.“
„Ich denke, das werde ich nicht tun“, erwiderte ich.
Jessie lächelte spöttisch. „Nicht Sie. Er.“
„Ich steh nicht auf solchen perversen Kram.“
„Halten Sie die Klappe.“
Ich wollte eine schlagfertige Antwort geben, aber Cadotte zog bereits sein T-Shirt aus. Dabei schlug er sich die Nase von der Brille und stieß die Bleistifte zu Boden. Er hatte fast so einen guten Oberkörper wie Damien. Fast.
An seinem Oberarm prangte eine üble, gerade erst verheilte Wunde. Eine Schusswunde.
„Mandenauer hat eine Silberkugel auf ihn abgefeuert.“
Das klang ganz nach Edward. Er sah vielleicht wie ein netter Großvater aus, aber dieser Schein trog. Wenn es sein musste, konnte er der gemeinste, rücksichtsloseste Schweinehund sein, der mir je begegnet war.
„Glauben Sie wirklich, unser Boss würde Will ins Team aufnehmen, wenn er sich nicht sicher wäre, dass er keine Gefahr darstellt?“, fragte Jessie.
Gutes Argument. Ich steckte die Pistole weg und nahm dabei den Blick von Jessie. Schwerer Fehler. Sie packte mich an meinem T-Shirt und schmetterte mich gegen die Wand.
„Falls Sie je wieder eine Waffe auf ihn richten, sollten Sie besser zuerst mich töten.“ Sie stieß noch mal zu, und mein Kopf knallte gegen Putz. Ich sah Sternchen. „Haben Sie verstanden?“
Ich hatte verstanden. Jeder warme, freundschaftliche Moment zwischen uns war nur eine flüchtige Erinnerung. Sie mochte mich keinen Deut lieber als ich sie. Aber wir hatten einen Job zu erledigen.
„Lass sie in Ruhe, Jess. Ich weiß nicht, wie viele Male du mir schon eine Pistole vor die Nase gehalten hast.“
„Das ist was anderes.“
„Ich weiß. Du warst von Anfang an scharf auf mich.“ Er grinste. „Hat sie Ihnen je erzählt, wie sie mich nackt im Wald angetroffen hat?“
Ich sah Jessie an und erinnerte mich an ihre Bemerkung bei unserer ersten Begegnung. „Sie hat so etwas erwähnt.“
„Sie hat mich damals ebenfalls für einen Werwolf gehalten. Aber trotzdem konnte sie nicht die Finger von mir lassen.“
Ich runzelte die Stirn. Sie hatten miteinander geschlafen, obwohl sie geglaubt hatte, er wäre ein Werwolf? Igitt.
Mein Ekel musste mir deutlich anzusehen gewesen sein, denn Jessie verdrehte die Augen. „Sie sind offensichtlich noch nie verliebt gewesen.“
Doch, das war ich. Bis die Werwölfe alles zerstört hatten. Da ich nichts erwiderte, zuckte sie wortlos mit den Schultern.
„Warum dachten Sie, ich sei ein Werwolf?“, fragte Will.
Dankbar für den Themenwechse l – der mich von den Erinnerungen und meinen Fehlern ablenkt e – deutete ich erst auf seinen Arm, dann auf seinen Hals.
Er legte die Handfläche auf den Verband. „Oh, das habe ich ganz vergessen. Ich musste in den Lebensmittelladen.“ Er zog das Klebeband ab, und ein Knutschfleck wurde sichtbar. „Ein bisschen peinlich in meinem Alter.“
Ich richtete den Blick auf Jessie. Ihr Gesicht war verdächtig gerötet. Ich konnte nicht widerstehen. „Fehlt Ihnen die Highschool sehr?“
„Auf gar keinen Fall“, murmelte sie.
Nanu. An der Highschool hatte ich die beste Zeit überhaupt erlebt. In Anbetracht meines momentanen Daseins war das verständlich. Traurig, aber verständlich.
„Was ist mit dem Kratzer an Ihrem Arm?“, fragte ich.
Will zuckte die Achseln. „Jess muss sich die Fingernägel schneiden.“
Plötzlich war ich diejenige, die errötete.
Ich hatte selbst schon Sex gehabt. Mit Jimmy un d … Mein Bewusstsein hastete von diesem fatalen Fehler weg wie eine Krabbe, die sich hinter einen Stein flüchtet. Es gab ein paar
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