Wolfsglut - Handeland, L: Wolfsglut
dann?“
„Wir haben einen anonymen Hinweis bekommen.“
Ich bezähmte den Drang, zu schnauben und die Augen zu verdrehen. Die bösen Jungs versuchten unablässig, uns die Behörden auf den Hals zu hetzen. Solange wir uns mit Formalitäten herumplagen mussten, konnten wir keine Monster suchen und jagen.
Bisher waren alle derartigen Versuche von höherer Stelle abgeschmettert worden. In Washington galt das Gesetz, dass Edward Mandenauer über jede Kritik erhaben war. Er durfte nicht behelligt werden, genauso wenig wie sein Team. Offensichtlich hatte Nic das streng vertrauliche Memo nicht gelesen.
Ich starrte ihn an, als mir eine andere Möglichkeit in den Sinn kam. Die Organisation der Jägersucher operierte zwar im Verborgenen, und der Standort unserer Zentrale war nur wenigen bekannt, aber trotzdem waren in letzter Zeit viele unserer Geheimnisse preisgegeben worden. Wir hatten einen Verräter in unserer Mitte und wussten nie, wann jemand sterben würde.
„Was war das für ein Hinweis?“
„Eine E-Mail. Mit dem Wortlaut, dass ich hier finden würde, wonach ich suche.“
Ich runzelte die Stirn. „Nicht gerade ein brauchbarer Tipp.“
„Stell dir mal meine Überraschung vor, als ich deinen Namen auf der Mitarbeiterliste der Jägersucher entdeckte.“
Was erklärte, weshalb er so ruhig geblieben war, als er mich gesehen hatte, während ich selbst wie gelähmt gewesen war. Er hatte gewusst, dass ich hier sein würde.
„Dafür, dass das hier eine Regierungseinrichtung ist, fanden sich ziemlich wenige Informationen in diesen Personalakten.“
Da eine nicht unerhebliche Anzahl unserer Agenten früher auf der falschen Seite des Gesetzes gestanden hatte n – manchmal braucht es ein Monster, um ein Monster zu fange n – , wäre es nicht ratsam, die Personalakten irgendeinem Außenstehenden zugänglich zu machen. Sie waren so gehalten, dass sie nur das Allernötigste preisgabe n – oder in manchen Fällen überhaupt nichts.
„Ich dachte, du wärst tot“, murmelte er. „Aber stattdessen warst du die ganze Zeit über hier.“
Seltsam, wie es manchmal nicht mehr als ein winziges Detail erfordert, um ein großes Mysterium zu enträtseln. Den Leuten ist nicht bewusst, wie oft Mörder wegen eines Unfalls oder Zufalls geschnappt werden, wegen eines einzigen scharfen Blicks in einen Bericht, der plötzlich eine Verbindung herstellt.
Nein, ich war nicht tot, aber das hieß nicht, dass ich es mir nicht wünschte.
So als würde er spüren, dass er der emotionalen Grenze zu nah gekommen war, die keiner von uns beiden überschreiten wollte, zog Nic ein Blatt Papier aus seiner Jackentasche.
„Kannst du mit deinen Kollegen oder mit Mandenauer sprechen und feststellen, ob jemand einen der Namen auf der Vermisstenliste kennt?“
Seine Miene drückte Bestimmtheit aus, seine Augen waren eisig blau geworden. Ich war am Leben; ich wurde nicht länger vermisst. Ich konnte fast sehen, wie er meinen Namen von seiner Gedankenliste strich.
Würde er je wieder an mich denken, sobald er dieses Zimmer verlassen hatte? Vermutlich nicht, und das war auch gut so.
Warum fühlte ich mich also derart schlecht?
Nic stand noch immer mit der Liste in der Hand vor mir. Ich nahm das Papier, faltete es und steckte es ein, ohne einen Blick darauf zu werfen.
„Meine Nummer steht ganz oben.“
Er stand auf, und sein Blick blieb an etwas auf meinem Schreibtisch haften. Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus, als ich feststellte, dass er die kleine Plüschkrähe anstarrte, die er einmal für mich auf einem Jahrmarkt gewonnen hatte.
Na ja, gewonnen war vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck. Er hatte das Fünffache von dem, was das geschmacklose Kuscheltier wert war, auf den Versuch verschwendet, einen Basketball in einem Korb zu versenken. Damals war er eher jungenhaft als athletisch gewesen.
Ich musterte seine breiten, von dem dunklen Anzug verhüllten Schultern. Heute würde er wahrscheinlich auf Anhieb treffen oder den Ball einfach durch schiere Willenskraft in den Korb befördern.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Tatsache, dass ich das Ding die ganzen Jahre über behalten hatte, war eine viel zu sentimentale Geste für die kühle, distanzierte Frau, die ich sein wollte.
„Ich mag Krähen.“
Meine Stimme klang eindrucksvoll blasiert, so als bedeutete mir das Andenken gar nichts, doch meine Augen begannen zu brennen. Ich musste wegsehen, sonst würde ich mich selbst in Verlegenheit bringen.
Ich blinzelte
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