Wolfsherz
aber er dachte so angestrengt nach, wie er konnte. Er hatte das Gesicht des einen Burschen ganz deutlich gesehen. Aber es war alles so schnell gegangen, er war vollkommen panisch gewesen - und ziemlich damit beschäftigt, Angst um sein Leben zu haben. Wie oft, wenn man sich mit Gewalt an etwas zu erinnern versucht, wurden die Bilder in seinem Kopf nicht deutlicher. Seine Phantasie fügte in dem Bemühen, seinen immer wütender werdenden Befehlen zu gehorchen, Details zu dem Bild hinzu, die nicht dazugehörten.
»Sie hatten... dunkles Haar«, sagte er schließlich. »Glaube ich.«
»Das ist ein bißchen wenig«, antwortete White. »Aber besser als nichts. Vielleicht erinnern Sie sich später an mehr Einzelheiten - wenn der erste Schrecken vorüber ist... Dunkles Haar, sagen Sie.«
Stefan nickte.
»Nur dunkles Haar, oder... waren sie allgemein... dunkel?
»Dunkel?«
»Südländischer Typ. Wie Kroaten. Oder hellhäutig, wie Russen?«
Stefan erschrak bis ins Mark. Er konnte hören, wie Rebecca neben ihm scharf die Luft einsog. Dann, mit einer Sekunde Verspätung fuhr sie so heftig zusammen, daß das Bett erzitterte. »Barkow?« murmelte sie. »Sie... Sie meinen es... es könnten Barkows Männer gewesen sein?«
White starrte sie geschlagene zehn Sekunden lang wort- und ausdruckslos an. Dann gab er sich einen sichtbaren Ruck, schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln, das so unecht war, daß es schon wieder fast überzeugend wirkte. »Kaum«, sagte er. »Warum sollten sie so etwas tun?«
»Warum sollten sie es
nicht
tun?« erwiderte Rebecca scharf. »Immerhin haben wir ihren Anführer ermordet.«
»In dem Fall wären sie hinter mir her, nicht hinter euch«, antwortete White. »Und wer sagt Ihnen, daß sie es nicht sind?«
»Das hätte ich gemerkt«, behauptete White. Er begann nervös im Zimmer auf und ab zu gehen; ein Verhalten, das nicht besonders zu seiner angeblichen Überzeugung paßte, fand Stefan. In einem Tonfall, als versuche er sich selbst von etwas zu überzeugen, fügte er hinzu: »Vielleicht ist ja alles wirklich nur ein Zufall.«
»Blödsinn!« sagte Rebecca. »So viele Zufälle gibt es nicht.«
»Vielleicht... gibt es noch eine andere Erklärung«, sagte Stefan schleppend. Ihm war nicht wohl dabei, aber Rebecca -und wohl auch White, sowenig ihm der Gedanke gefiel - jetzt nicht die
ganze
Geschichte zu erzählen, könnte sich möglicherweise als fataler Fehler herausstellen.
»Was meinst du damit?« fragte Rebecca. Sie zog die Hand aus seinem Griff und sah abwechselnd ihn und White an. Stefan vermochte nicht zu sagen, welche Blicke unfreundlicher waren.
Er atmete noch einmal tief ein, dann erzählte er ihr und White von Sonjas Besuch. Sie hörten beide schweigend zu, und Stefan behielt vor allem White aufmerksam im Auge, während er sprach. Er erzählte nicht die ganze Geschichte: Er sagte weder etwas von dem unheimlichen Intermezzo im Parkhaus, noch verlor er ein Sterbenswörtchen über seinen Besuch bei Schwester Danuta, oder gar von dem, was sie ihm erzählt hatte.
»Und warum erfahre ich das erst jetzt?« fragte Rebecca feindselig, als er geendet hatte. Der aggressive Ton in ihrer Stimme irritierte ihn im ersten Augenblick, aber er begriff auch fast sofort, daß er nicht ihm galt. Etwas bedrohte Eva, und Rebecca reagierte ganz instinktiv und kehrte alle Stacheln nach außen.
»Hätte ich es vielleicht erzählen sollen, während Dom hier war?«
»Er wird es sowieso erfahren«, sagte White. »Wenn sich Ihre... wie hieß sie?« »Sonja.«
»Sonja also. Wenn sie sich an die Behörden wendet, dann braucht Dorn bestimmt nicht lange, um sich den Rest zusammenzureimen. Das ist nicht gut.« »Sie müssen sie aufhalten«, sagte Rebecca.
White blinzelte. »Ich? Wie kommen Sie auf die Idee, daß ich das könnte?«
»Zum Beispiel, weil ich in diesem Bett liege und mehr tot als lebendig bin«, antwortete Rebecca. »Weil wir Ihnen geholfen haben, Ihren dreckigen Mordauftrag auszuführen. Und weil heute jemand versucht hat, Stefan umzubringen. Sie sind es uns schuldig, meinen Sie nicht?«
White seufzte. »Ich hatte Ihnen gesagt, daß Sie das Kind nicht mitnehmen können.«
»Dummerweise lasse ich mir von Mördern nichts vorschreiben«, antwortete Rebecca.
White nahm ihre Antwort ohne irgendeine Reaktion hin, aber Stefan warf seiner Frau einen besänftigenden Blick zu; er konnte sie verstehen, aber möglicherweise brauchten sie White noch.
»Ich werde mich um die Angelegenheit
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