Wolfsherz
kümmern«, versprach White, nun wieder an Stefan gewandt. »Vielleicht hatten Sie einfach nur Pech und sind zwei besonders üblen Ver-kehrsrowdies in die Quere gekommen. Wenn nicht, finde ich es heraus.« Er sah Rebecca an. »Ich werde auf jeden Fall einen Mann hier postieren, der auf Sie aufpaßt.«
»Danke«, sagte Rebecca. »Ich verzichte!«
White wollte etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders und beließ es bei einem Achselzucken. Rebecca war sichtlich nicht in der Stimmung, zu diskutieren. Wenn Stefan es recht bedachte, dann war sie das seit zwei Wochen nicht mehr; seit sie zurückgekommen waren.
»Ich muß jetzt gehen«, sagte White nach einem Blick auf die Uhr. »Ich schicke jemanden vorbei, der die Augen offenhält.«
Stefan kam erst nach Dunkelwerden nach Hause. Er war nicht zu Dorn gefahren, sondern noch mehrere Stunden bei Rebecca geblieben, und er hatte das Krankenhaus erst verlassen, als sie ihn praktisch hinausgeworfen hatte. Von dem Mann, den White angeblich zu Rebeccas Schutz schicken wollte, war keine Spur zu sehen gewesen.
Er parkte den BMW direkt vor dem Haus, fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben und ertappte sich dabei, daß er einen spürbaren Moment zögerte, ehe er den Schlüssel ins Schloß steckte und die Wohnungstür öffnete.
Alles war still. Im Wohnzimmer pulsierte ein rotes Licht; die Anzeige des Anrufbeantworters, auf dem wahrscheinlich schon wieder ein Dutzend unwichtiger Nachrichten darauf warteten, abgehört zu werden. In der vollkommenen Dunkelheit, die in der Wohnung herrschte, kam es ihm viel heller vor als sonst.
Er schob die Tür hinter sich ins Schloß, ließ den Schlüssel in die Jackentasche gleiten und blieb nach einem weiteren Schritt erneut stehen. Aus Gewohnheit hatte er kein Licht eingeschaltet. Es waren nur zwei Schritte bis zum Wohnzimmer, die er genausogut im Dunkeln zurücklegen konnte. Aber etwas... war anders. So wenig, wie die Dunkelheit wirklich dunkel war, sondern vom unheimlichen pulsierenden Licht des Anrufbeantworters unterbrochen wurde, war die gewohnte Stille in der Wohnung still. Er hörte Geräusche, die er einzeln nicht identifizieren konnte, die aber nach einem Augenblick in einzelne Laute zerfielen: Das vibrierende Summen des Kühlschranks in der Küche. Ein monotones, gleichmäßiges Klacken, das er nach einer Sekunde des Überlegens als das Geräusch identifizierte, mit dem sich die Ziffern des altmodischen, mechanischen Digitalweckers auf seinem Nachttisch umklappten. Ein unregelmäßiges Ticken, das aus den Rohrleitungen des Heizungssystems drang, und ein Dutzend weiterer Geräusche, die immer da waren, die er aber nur ganz selten einmal bewußt zur Kenntnis genommen hatte. Jetzt registrierte er sie, als hätte sich die Empfindlichkeit seiner Sinne schlagartig verzehnfacht.
Und er registrierte noch etwas, und
das
beunruhigte ihn wirklich: Jemand war hier gewesen. Jemand, der nicht in diese Wohnung gehörte. Er war nicht mehr hier. Stefan hätte ihn sowohl gehört als auch gerochen. Aber er war hier
gewesen
, und er hatte seine Spuren in der Realität dieser Wohnung hinterlassen, so deutlich, als hätte er sie mit roter Leuchtfarbe an die Wand gesprüht. Ein Fremder, der nicht hierhergehörte. Kein Freund.
Stefan wurde plötzlich klar, wie absurd das war, was er selbst dachte. Aber an dem Gefühl war zugleich auch gar nichts Komisches. Ganz im Gegenteil machte es ihm fast angst. Er konnte tatsächlich spüren, daß jemand hiergewesen war, ein Eindringling, der nicht in freundlicher Absicht gekommen war. Und jetzt, als er sich des Eindringlings erst einmal bewußt war, empfing er noch mehr Informationen über ihn. Es war eine Frau gewesen. Jung. Sonja. Er spürte Sonjas Gegenwart, die ihre Spuren hinterlassen hatte.
Stefan lachte; ein heller, nervöser Laut, der seine Furcht mehr unterstrich als vertrieb. Er machte einen weiteren Schritt und schaltete mit einer fahrigen Bewegung das Licht ein.
Der weiße Glanz, der ihm im ersten Moment so unnatürlich hell erschien, daß er blinzeln mußte, vertrieb nicht nur die Dunkelheit, sondern auch das, was er darin gehört und gefühlt hatte. Die Realität rastete mit einem spürbaren Ruck wieder ein.
Trotzdem blieb Stefan noch einige Sekunden neben der Tür stehen und sah sich sehr aufmerksam um. Alles war unverändert. Niemand war hier gewesen, seit er die Wohnung verlassen hatte. Er ging trotzdem aufmerksam von Zimmer zu Zimmer und inspizierte sogar den Schlafzimmerschrank und die
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