Wolfsinstinkt
schon verbiss Ricky sich mit unglaublicher Kraft in der Kehle des weißen Wolfes. Schwarzes Fell vermischte sich mit dem blutig weißen. Ricky wurde nur beherrscht von diesem einen Instinkt. Seinen Partner zu beschützen, war alles, worauf es in diesem Augenblick ankam.
Wieder und wieder hörte Ricky das bösartige Klappen starker Kiefer aufeinander und wusste instinktiv, dass es seine eigenen sein mussten. Seine Perspektive hatte sich verändert, er befand sich auf gleicher Höhe mit Nashoba und starrte ihn wütend in Grund und Boden.
Nashoba zog sich zurück und Ricky hatte eine kurze Sekunde Zeit, um nach Tala zu sehen. Er stupste ihn mit der Nase behutsam in die Seite und erhielt ein leises Winseln zur Antwort. Das klang sogar für Wolfsohren derart erbärmlich, dass Ricky abermals zu Nashoba herumwirbelte und sich mit einem großen Sprung erneut auf ihn stürzte. Gleich darauf schmeckte er Blut in seinem Mund, was ihn zur Raserei brachte. Er spürte Fetzen des weißen Fells zwischen seinen Zähnen hängen, als er den nächsten Angriff startete. Er riss Nashoba um, der aufgab und sich unterwürfig auf den Rücken drehte. Doch statt beschwichtigt zu sein, fletschte er die Zähne und packte Nashoba an der ungeschützten Kehle. Seine Reißzähne bohrten sich durch das dichte Fell in das weiche Fleisch.
Ein klägliches Heulen ertönte. Ricky riss sich von Nashoba los und sein Blick fand Tala. Er blinzelte ihm fast flehend entgegen. Sofort war Ricky bei ihm. Er leckte sanft über Talas Wunden und der braune Wolf schloss die Augen eine Weile. Als sich ihre Blicke erneut trafen, wusste Ricky, was Tala bezweckt hatte. Er wollte nicht, dass Ricky tötete.
Ricky drehte den Kopf. Nashoba war verschwunden. Ricky schnaufte, und als er zurück in Talas Gesicht sah, spürte er deutlich, wie sein Körper sich veränderte. Statt der Pranken blieben ihm die Hände, mit denen er sanft durch Talas Fell fuhr. Der Zorn des Wolfes machte der Angst des Menschen Platz, und Ricky wimmerte leise.
„Tala! Tala, bitte. Du darfst nicht sterben“, wisperte er wie ein Mantra. Er versuchte die Verletzungen irgendwie einschätzen zu können, drückte eine Bisswunde an Talas Bauch ab, die gefährlich stark blutete. „Bitte Tala!“
Äste brachen hinter ihm, und Ricky wirbelte herum. Schützend baute er sich vor Tala auf. Im nächsten Moment kam ein großer schwarzer Bär durch die Bäume, dicht gefolgt von vier Wölfen. Der Bär richtete sich auf die Hinterbeine und ließ ein leises Brüllen vernehmen.
„Nein! Rührt ihn nicht an! Wer seid ihr?!“
Hastig blinzelte Ricky die Tränen weg, die seine Sicht verschleierten. Gerade rechtzeitig, um zu erkennen, wie die fünf Tiere die Gestalten von fünf ausgewachsenen Männern annahmen. Ricky wusste sofort, wen er da vor sich hatte.
„Hon ...“
Der Indianer ließ sich nicht davon irritieren, dass hier jemand in Talas Begleitung war, der seinen Namen kannte, sondern kniete sich neben Tala auf den Boden und hob ihn sich vorsichtig auf die Arme. Ricky wischte sich trotzig über das Gesicht und baute sich vor Hon auf.
„Sei vorsichtig mit ihm! Er ist mir wichtiger als mein Leben.“ Die Worte kamen ihm leise und müde über die Lippen. Er fühlte sich erschöpft, verwirrt und resigniert.
Hon musterte ihn skeptisch, aber schließlich bog ein kleines Lächeln seine Mundwinkel nach oben.
„Ich freue mich, dass Tala einen Partner gefunden hat. Keine Angst, ich passe auf ihn auf. Du bleibst bei den anderen, sie bringen dich in unsere Siedlung.“ Damit machte Hon sich auf den Weg, so schnell, dass Ricky ihn schon wenige Sekunden später in der Dunkelheit aus den Augen verloren hatte.
Mit hängendem Kopf wandte er sich an die vier Männer, die nun langsam näher kamen.
„Ich bin Ricky“, stellte er sich vor.
„War das vorhin deine erste Verwandlung?“, wollte einer der Wächter wissen. Seine dunkle Stimme hatte etwas Beruhigendes an sich.
„Ja“, erwiderte Ricky einfach, weil er es zu anstrengend fand, das ausführlicher zu erklären.
„Gut. Dann wäre es besser, wenn du dich noch einmal verwandelst. Wir würden schneller vorankommen.“
Ricky starrte den Mann fassungslos an.
„Soll das ein Witz sein?“, fragte er erschöpft. Der Kerl wirkte nicht so, als hätte er einen Scherz gemacht. „Ich habe keine Ahnung, wie ich das eben gemacht habe. Wie soll ich es also jetzt einfach so hinbekommen?“
Der Mann winkte einen seinen Begleiter näher, der vermutlich europäischer
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