Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
vornübergebeugt auf ihrem Stuhl und massierte sich die Schläfen, versuchte die Bilder von Theres auch von der Festplatte ihres Gehirns zu radieren. Das war schwieriger, und die Anstrengungen führten dazu, dass sie an Theres zu denken begann. Sie musste mit den Bildern leben. Mit der Zeit würden sie verblassen.
2
Die Bilder verblassten nicht. Teresa lebte die folgenden Tage und Wochen mit einem theres-förmigen Raum in ihrem Inneren, der immer weiter wuchs. Am Ende hatte dieser Raum dieselbe Form wie ihr eigener Körper angenommen, und er war leer. Die Leere war nichts Neues, sie hatte sie schließlich ins Bett gezwungen, in die Kinder- und Jugendpsychiatrie geführt und ihr Tabletten beschert.
Aber auch die Leere hat ihre Topografie, ihren Geruch und ihren Geschmack. Das hier war eine andere Leere. Sie hallte nach Theres wider, und sie tat weh. Manchmal kam es Teresa vor, als würde sie nur aus Schmerz und Verlust bestehen, dass sie nur von ihnen zusammengehalten wurde.
Sie ging die Methoden durch, von denen sie annahm, dass sie ihr zur Verfügung standen. Sie versuchte, sich selbst zu verletzen. Sie saß in Johannes’ und ihrer alten Grotte und ritzte sich mit Glasscherben, die sie im Wald gefunden hatte. Es verschaffte ihr eine vorübergehende Linderung, aber nach ein paar Tagen gab sie auf. Es ging nicht.
Sie versuchte zu verhungern, ließ das Essen verschwinden, das ihr am Küchentisch serviert wurde, bis sie dabei ertappt wurde. Also begann sie nach dem Essen in der Toilette den Finger in den Hals zu stecken. Auch dies verschaffte ihr keine Linderung, und sie ließ es sein.
Sie versuchte, mehr Tabletten zu schlucken, mehr zu essen, Limonade zu trinken. Limonade half ein bisschen. Der Augenblick, an dem sie ein Glas kaltes Trocadero an ihre Lippen setzte, fühlte sich absolut okay an, und die ersten Schlucke fühlten sich immer noch okay an. Sie trank mehr von dieser Limonade.
Nebenher hatte sie sich die ganze Zeit um die Schule gekümmert. Sie benutzte eine Technik, bei der sie einen Tunnel von ihrem Kopf zu dem des Lehrers oder zu einem Buch konstruierte. Solange es ihr gelang, den Tunnel intakt zu halten, war sie auch in der Lage, sich zu konzentrieren.
Ende März hatten sie Klassenfest. Nicht eines dieser Feste, das in der Schule organisiert wird und wo die Erwachsenen der Fröhlichkeit einen Dämpfer aufsetzen, sondern ein richtiges Klassenfest. Mimmis Eltern waren für eine Woche nach Ägypten verreist, und sie hatte sturmfreie Bude. Vielleicht war das Fest eine Art von Rache, weil Mimmi gerne mitgekommen wäre, aber mit dem Hinweis auf ihre schlechten Leistungen in der Schule war sie zu Hause zurückgelassen worden.
Die ganze Klasse und noch ein paar Leute mehr waren eingeladen, und niemand kam auf die Idee, Teresa nicht einzuladen. Obwohl Jenny ihre Anhänger hatte, hatten es nicht alle für schlecht gehalten, dass sie ihre Nase korrigiert bekam, und obwohl Teresa niemanden hatte, den sie als Freund bezeichnen konnte, hegten zumindest einige ihr gegenüber einen stillen Respekt, wie gegenüber dem dunklen Punkt, den man brauchte, damit der Rest des Bildes leuchten konnte. Sie durfte dabei sein.
Teresa ging aus demselben Grund zu dem Fest, aus dem sie jetzt auch alles andere machte. Weil sie es konnte. Weil es stattfand. Weil es keine Rolle spielte, was sie tat. Sie konnte genauso gut bei Mimmi auf dem Sofa sitzen wie auf dem Stuhl in ihrem Zimmer.
Als sie sich am Freitagabend Mimmis Haus näherte, konnte sie hören, wie »Toxic« durch die Wände vibrierte, und im erleuchteten Wohnzimmer bewegten sich ein paar Britney-Frisuren so langsam wie Unterwasserpflanzen in einem Aquarium. Jenny und Ester. Teresa empfand weder Besorgnis noch Vorfreude, sondern lediglich eine Mattheit, die sich über sie senkte. Sie konnte nicht.
Sie stellte die Plastiktüte ab, in der sie eine PET-Flasche Trocadero und zwei Flaschen Bier mitgebracht hatte, und setzte sich auf die Treppe. »Toxic« wurde von diesem Song abgelöst, von dem alle glaubten, dass The Ark sich damit am nächsten Wochenende für den European Song Contest qualifizieren würden. Teresa lauschte noch eine Weile dieser fröhlichen Popmusik zum Thema Angst, bevor sie aufstand, um nach Hause zu gehen. Plötzlich pfiff jemand hinter ihrem Rücken.
In der Garage brannte Licht, und das Tor war geöffnet. Micke saß dort und winkte ihr zu. Neben ihm stand ein Pappkarton. Als Teresa zu ihm hinüberging, zeigte er auf ihre Tüte. »Was hast
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