Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
sie und las. Alle Mails waren nur ein oder zwei Zeilen lang, und abgesehen von den ersten beiden waren alle anderen nur kurze Fragen. Warum sie nicht schrieb, warum sie nicht antwortete. In der letzten Zeile der letzten Mail verkündete Theres schlicht: »jetzt schreibe ich nicht mehr«. Danach kam nur noch Spam.
Trauer stieg in Teresa auf, aber sie wurde weggeschoben, bevor sie wehtat. Manchmal meinte Teresa beobachten zu können, wie die Medizin in ihr wirkte. Sie sah ein Kettensägenblatt, das hin und her schwang und die Höhen und Tiefen ihres Gefühlsregisters absägte. Die Krone und die Wurzeln. Übrig blieb ein kahler Stamm, den man mit sich herumschleppen konnte.
Sie hatte die letzte Mail vor sich und klickte auf Antworten. Dann schrieb sie:
Ich bin krank gewesen. Ich habe im Krankenhaus gelegen. Ich hatte keinen Computer. Ich konnte nicht schreiben. Jetzt bin ich wieder zu Hause. Ich sehne mich nach dir. Kann ich dich am Wochenende besuchen?
Sie schickte die Mail ab, setzte sich auf ihr Bett und las Gunnar Ekelöfs Stimmen unter der Erde drei Mal durch. Sie verstand jedes Wort.
Ich sehne mich von dem schwarzen Feld zum weißen
Ich sehne mich von dem roten Faden zum blauen.
Sie blätterte vor und zurück durch die Taschenbuchausgabe der gesammelten Gedichte. Sie hatte sie nicht in der psychiatrischen Abteilung dabeigehabt, weil sie Ekelöf nie verstanden hatte. Jetzt sprach fast jedes Gedicht zu ihr, und er war plötzlich zu ihrem Lieblingsdichter geworden. Gunnar Ekelöf. Er wusste.
Dieses Wesen, Namenlos
entsteht im geschlossenen Raum
Mit keiner anderen Öffnung als der Lücke
durch die er sich zwingen muss
Jetzt ist er auf der Flucht
ist leer in
erfüllter Welt
Verwundert blätterte sie weiter und fand andere Übereinstimmungen, andere Beschreibungen von Dingen, die sie schon kannte. Es war beinahe lästig, das Buch aus der Hand legen zu müssen, um nach neuen Mails zu schauen. Ja. Theres hatte geantwortet.
gut dass du zu hause bist komm schnell
Der Jubel tat einen gewaltigen Sprung in ihrer Brust. Dann kam die Motorsäge, und das Glück wurde auf der Flucht zerschnitten, purzelte durch die Rippen und landete als kleine, verstümmelte Freude. Aber doch eine Freude.
Es brauchte einige lange Gespräche mit Maria, bei denen sie von Göran unterstützt wurde, um die Zustimmung zu dieser Reise zu bekommen. Teresa war gezwungen, zu einem Argument zu greifen, das unter ihrer Würde war. Sie sagte: »Das ist das Einzige, was mir Spaß macht.« Maria ließ sich erweichen und Teresa fühlte sich auf eine undefinierbare Weise schmutzig. Aber sie durfte fahren, das war das Wichtigste. Sie sollte nur daran denken, ihre Medizin zu nehmen.
Das war Marias neues Steckenpferd. Nachdem sie zuerst vollkommen ahnungslos und deshalb kritisch gegenüber Psychopharmaka eingestellt gewesen war, hatte sich ihre Einstellung nach Teresas Entlassung komplett geändert, sodass sie die Fontex-Tabletten jetzt als ein Geschenk Gottes an die Menschheit betrachtete. Sie hatten bewirkt, dass Teresa wieder zu Hause war, dass sie funktionierte, dass sie kein depressives Kind haben mussten. Teresa selbst war sich nicht so sicher, aber bis auf Weiteres nahm sie sie drei Mal am Tag.
Am Samstag packte sie ihre Tabletten, ihren neu gewonnenen Freund Ekelöf und ihren MP3-Player ein. Bright Eyes war ihr ständiger Begleiter während der Krankheit gewesen, und sie kannte mittlerweile jede Nuance, jeden seltsamen Klang in den Songs auf Digital ash in a digital urn . Sie hörte ihn immer noch gerne.
Die Zugreise war ein Transport, nichts anderes. Entfernt konnte sie sich erinnern, wie sie auf früheren Reisen ängstlich oder aufgeregt oder sehnsüchtig gewesen war. Jetzt nicht. Als sie Theres geschrieben hatte, dass sie sich sehnte, war es, wie vieles andere, gleichzeitig wahr und nicht wahr. Sie saß auf einem Transport. Sie würde mit Theres zusammengeführt werden, und das Geteilte würde wieder eins werden. Das war gut und richtig, aber kein Anlass zu Sorge oder Hoffnung. Es war einfach so.
Und dennoch. Als sie in Svedmyra aus der U-Bahn stieg und zu dem Supermarkt an der Ecke kam, von dem aus sie zu Theres’ Balkon hinaufschauen konnte, war es wie Farbe . Dass es in ihrem leeren Raum ein bisschen farbig wurde. Welche Farbe? Sie schloss die Augen und ging in sich, weil es ein willkommenes Gefühl war, ein echtes Gefühl.
Violett.
Es war ein dunkles Violett, in Richtung Purpur. Sie schwang ihre Tasche auf die Schulter
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