Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
Vom Netzwerk:
Quetschungen zu verursachen und die Haut zu verletzen, aber an der Haut ist kaum etwas
zu sehen und es gibt keinerlei Blut. Daraus würde ich schließen, dass diese Male erst nach den
Stichwunden beigebracht wurden. Das heißt, nachdem das Opfer bereits tot war. Neben diesen
Bissabdrücken sind einige getrocknete Flecken auf dem Bauch. Ohne ein vorschnelles Urteil fällen
zu wollen, möchte ich doch darauf hinweisen, dass sich diese Flecken bei Untersuchungen in den
drei sehr ähnlichen Fällen als salzhaltig erwiesen haben - Tränen oder vielleicht Schweißtropfen.
Ich messe jetzt die Innentemperatur des Körpers.«
Rebus fühlte sich völlig ausgetrocknet. Ihm war warm, und er hätte vor Müdigkeit umfallen können.
Der Schlafmangel gab dem Ganzen etwas Halluzinatorisches. Der Pathologe, seine Assistentin und
der Techniker waren von Heiligenscheinen umgeben. Die Wände schienen sich zu bewegen. Rebus wagte
nicht, hinzusehen, aus Angst, er könnte das Gleichgewicht verlieren. Zufällig begegnete er Lambs
Blick, und der Detective Constable bedachte ihn mit einem gemeinen Grinsen und einem noch
gemeineren Zwinkern.
Jetzt wurde die Leiche gewaschen, zum ersten Mal richtig gewaschen.
Das hellbraun und schwarz getrocknete Blut wurde entfernt, und die helleren matten Stellen, an
denen das Blut verschmiert war, wurden weggewischt. Cousins untersuchte die Leiche noch einmal,
stellte aber nichts Neues fest, woraufhin ein weiterer Satz Fingerabdrücke abgenommen wurde. Dann
begann die eigentliche Obduktion.
Auf der Vorderseite der Leiche wurde ein tiefer senkrechter Einschnitt gemacht. Blutproben wurden
entnommen und den Kriminaltechnikern übergeben, ebenso Urinproben, Teile des Mageninhalts und der
Leber, Körperhaare (einschließlich Augenbrauen) und Gewebe. Dieser Prozess war für Rebus in den
ersten Jahren immer eine Geduldsprobe gewesen. Wenn doch offenkundig war, wie das Opfer gestorben
war, warum musste man sich dann mit diesem ganzen Kram abgeben? Aber mit der Zeit hatte er
gelernt, dass das, was man sehen konnte, also die äußeren Verletzungen, oft nicht so wichtig war
wie das, was man nicht sehen konnte, die winzigen Geheimnisse, die nur ein Mikroskop oder ein
chemischer Test enthüllen konnte. Also hatte er gelernt, sich in Geduld zu üben, und wandte das
jetzt an, musste allerdings etwa alle halbe Minute ein Gähnen unterdrücken.
»Ich langweile Sie doch nicht etwa?« Cousins Stimme war leise und durchaus freundlich. Er blickte
von seiner Arbeit auf, sah Rebus an und lächelte.
»Ganz und gar nicht«, sagte Rebus.
»Dann ist es ja gut. Wir würden sicher alle lieber zu Hause im warmen Bett liegen, als hier
rumzustehen.« Nur der Techniker mit dem Muttermal ließ Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage
erkennen. Cousins griff in den Brustkorb der Leiche. »Ich bin jedenfalls hier raus, so bald ich
kann.«
Es war nicht der Anblick einer obduzierten Leiche, beschloss Rebus, der Männer blass werden ließ.
Es waren die Geräusche. Das Zerreißen von Fleisch, als ob ein Metzger Stücke von einer Keule
abreißen würde. Das Blubbern von Flüssigkeiten und das leise Knarzen der Schneidewerkzeuge.
Wenn er irgendwie die Ohren verschließen könnte, wäre alles vielleicht ganz erträglich. Doch
stattdessen schienen seine Ohren in diesem Raum ganz besonders empfindlich zu sein. Nächstes Mal
würde er Ohrstöpsel mitbringen. Nächstes Mal...
Die Organe im Brust- und Bauchbereich wurden entfernt und auf einen sauberen Tisch gelegt, wo sie
mit einem Schlauch abgespült wurden, bevor Cousins sie sezierte. In der Zwischenzeit trat der
Assistent in Aktion und entfernte das Gehirn mit Hilfe einer kleinen elektrischen Kreissäge.
Rebus hatte jetzt die Augen geschlossen, doch der Raum schien sich trotzdem um ihn zu drehen.
Immerhin würde es jetzt nicht mehr lange dauern. Nicht mehr lange, Gott sei Dank. Aber jetzt
waren es nicht nur die Geräusche.
Jetzt war es auch der Geruch, dieser unverkennbare Geruch von rohem Fleisch. Er drang einem wie
Parfüm in die Nase, setzte sich in die Lungen und blieb hinten im Rachen kleben, sodass er
schließlich in den Mund geriet und Rebus das Gefühl hatte, ihn tatsächlich zu schmecken. Sein
Magen hob sich kurz, doch er massierte ihn sanft und verstohlen mit einer Hand.
Allerdings nicht verstohlen genug.
»Wenn Sie sich übergeben müssen, gehen Sie raus.« Es war wieder Lamb; wie ein Sukkubus fauchte er
Rebus die Worte über die Schulter.
Dann folgte

Weitere Kostenlose Bücher