Wolfsmale
ein leises Gackern, rau und stockend wie ein absterbender Motor. Rebus drehte den
Kopf und lächelte gefährlich.
Nun würde die ganze Schweinerei bald wieder zusammengesetzt werden, und Rebus wusste, wenn die
trauernden Verwandten von Jean Cooper sich ihre sterblichen Überreste ansehen kamen, würde die
Leiche ganz natürlich aussehen.
Wie immer herrschte am Ende der Autopsie nachdenkliches Schweigen im Raum. Jeder anwesende Mann
und jede anwesende Frau waren aus dem gleichen Stoff gemacht wie Jean Cooper, und nun standen sie
da, für einige Augenblicke ihrer individuellen Persönlichkeit beraubt. Sie alle waren Körper,
animalische Wesen, Ansammlungen von Organen. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und Jean
Cooper war, dass ihre Herzen noch Blut pumpten. Aber jedes Herz hört eines Tages auf zu schlagen,
und das war dann das Ende, bis auf die Möglichkeit, in diesem Fleischerladen zu landen, diesem
Schlachthof.
Cousins zog seine Gummihandschuhe aus, wusch sich gründlich die Hände und nahm von dem
Assistenten einen kleinen Stapel Papierhandtücher entgegen. »Das war's dann wohl, meine Herren,
Penny muss nur noch den Bericht tippen. Der Mord fand zwischen neun und halb zehn statt, würde
ich vermuten. Der gleiche Modus operandi wie bei unserem so genannten Wolfsmann. Ich nehme an,
ich habe gerade sein viertes Opfer untersucht. Morgen werde ich Anthony Morrison hinzuziehen,
damit er einen Blick auf die Zahnabdrücke werfen kann. Mal sehen, was er sagt.«
Da alle außer Rebus zu wissen schienen, wer gemeint war, fragte Rebus: »Wer ist Anthony
Morrison?«
Flight antwortete als Erster. »Ein Zahnarzt.«
»Ein Dentalpathologe«, korrigierte ihn Cousins. »Und dazu ein ziemlich guter. Er hat die Daten
von den anderen drei Morden. Seine Analysen der Bissabdrücke haben sich als sehr hilfreich
erwiesen.« Cousins sah Flight Bestätigung heischend an, doch Flight senkte den Blick auf seine
Schuhe, als wollte er sagen: So weit würde ich nicht gehen.
»Nun ja«, sagte Cousins, der anscheinend den wortlosen Hinweis verstanden hatte, »jedenfalls
kennen Sie jetzt meinen Befund. Nun sind die Jungs vom Labor dran. Hier gibt es nur noch herzlich
wenig« - Cousins deutete mit dem Kopf nach hinten auf den ausgehöhlten Leichnam - »was Ihnen bei
Ihren Ermittlungen helfen könnte. Angesichts dieser Tatsache werde ich wohl jetzt nach Hause ins
Bett gehen.«
Flight schien zu merken, dass er Cousins verstimmt hatte. »Danke, Philip.« Der Detective legte
dem Pathologen eine Hand auf den Arm.
Cousins sah auf die Hand, dann zu Flight und lächelte.
Die Vorstellung war zu Ende, das Publikum ging mit schlurfenden Schritten hinaus in die kalte,
stille Dunkelheit des anbrechenden Tages. Auf Rebus' Uhr war es halb fünf. Er war völlig
erschöpft und hätte sich am liebsten auf den Rasen vor dem Hauptgebäude gelegt und geschlafen.
Doch Flight kam mit seinem Gepäck auf ihn zu.
»Kommen Sie«, sagte er. »Ich fahr Sie ins Hotel.«
Hundemüde, wie er war, empfand Rebus das als das Netteste und Freundlichste, was irgendjemand
seit Wochen zu ihm gesagt hatte. »Haben Sie denn auch genug Platz?«, fragte er. »Ich meine mit
dem Teddybär und so.«
Flight stutzte. »Wenn Sie lieber zu Fuß gehen möchten, Inspector?«
Rebus hob kapitulierend die Hände und ließ sich, nachdem die Tür entriegelt worden war, auf den
Beifahrersitz von Flights rotem Sierra sinken. Nie schien ein Sitz behaglicher gewesen zu
sein.
»Hier«, sagte Flight und reichte Rebus einen Flachmann. Rebus drehte den Verschluss auf und
schnupperte. »Es wird Sie nicht umbringen«, rief Flight. Das war vermutlich wahr. Es roch nach
Whisky. Kein großartiger Whisky, kein rauchiger Malt von den Inseln, aber ein ganz anständiger
Tropfen. Der würde ihn vielleicht wach halten, bis sie am Hotel waren.
Rebus prostete der Windschutzscheibe zu und ließ sich die Flüssigkeit in den Mund laufen.
Flight setzte sich hinters Lenkrad und startete den Wagen.
Während der Motor im Leerlauf lief, nahm er den Flachmann von Rebus entgegen und trank
gierig.
»Wie weit ist es von hier bis zum Hotel?«, fragte Rebus.
»Um diese Uhrzeit etwa zwanzig Minuten«, sagte Flight, drehte den Verschluss zu und steckte den
Flachmann wieder in die Tasche. »Das heißt, wenn wir immer bei Rot anhalten.«
»Sie haben meine Erlaubnis, jede rote Ampel zu überfahren, die Ihnen in die Quere kommt.«
Flight lachte matt. Beide Männer überlegten, wie sie das Gespräch auf die
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