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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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gewiss nicht wie in der Waverley Station in Edinburgh. Die Luft stank nicht gerade, aber
irgendwie kam sie Rebus völlig verbraucht und schal vor.
Plötzlich war er sehr müde. Und noch etwas anderes drang in seine Nase, etwas, das süß und
widerlich zugleich war. Ihm fiel nicht ein, woran es ihn erinnerte.
In der Bahnhofshalle steuerte er nicht gleich auf die U-Bahn zu, sondern ging erst in einen
Buchladen. Dort kaufte er ein A-Z von London und schob es in seine Aktentasche. Die Zeitungen vom
nächsten Morgen kamen gerade an, doch er ignorierte sie. Heute war Sonntag, nicht Montag.
Sonntag war der Tag des Herrn, aus diesem Grund hatte er vielleicht auch eine Bibel eingepackt.
Er war schon seit Wochen nicht mehr in der Kirche gewesen... vielleicht sogar seit Monaten. Nicht
mehr, seit er versuchsweise in der Kathedrale auf dem Palmerson Place gewesen war. Das war eine
schöne Kirche, hell und freundlich, aber zu weit von seiner Wohnung entfernt, um praktikabel zu
sein. Und im übrigen war das immer noch organisierte Religion, und er hatte sein Misstrauen gegen
organisierte Religion nicht abgelegt. Wenn überhaupt, dann war er heute misstrauischer denn je.
Außerdem hatte er Hunger. Vielleicht sollte er auf dem Weg zum Hotel ein Häppchen essen...
Er kam an zwei Frauen vorbei, die sich lebhaft unterhielten.
»Ich hab es erst vor zwanzig Minuten im Radio gehört.«
»Schon wieder eine umgebracht?«
»Das haben sie gesagt.« Die Frau schauderte. »Ich mag gar nicht darüber nachdenken. Haben sie
gesagt, dass es eindeutig er war?«
»Nicht eindeutig, aber das weiß man einfach, oder?«
Da war was Wahres dran. Also war Rebus gerade rechtzeitig gekommen, um zu erleben, wie ein
weiterer Teil des Dramas ablief. Ein weiterer Mord; damit waren es insgesamt vier. Vier im
Zeitraum von drei Monaten. Er war ein eifriger kleiner Mann, dieser Mörder, den sie Wolfsmann
getauft hatten. Sie hatten ihn Wolfsmann getauft, und dann hatten sie an Rebus' Boss geschrieben.
Leih uns deinen Mann, hatten sie gesagt. Mal sehen, was er tun kann. Rebus' Boss, Chief
Superintendent Watson, hatte ihm den Brief gezeigt.
»Sie sollten ein paar silberne Kugeln mitnehmen, John«, hatte er gesagt.
»Sieht so aus, als wären Sie deren letzte Hoffnung.« Und dann hatte er laut gelacht, weil er
genauso gut wie Rebus selbst wusste, dass er bei dem Fall wenig würde helfen können.
Doch Rebus hatte nur auf seiner Unterlippe herumgekaut und schweigend vor seinem Vorgesetzten
gestanden, einem typischen Schreibtischhengst. Er würde tun, was er konnte. Er würde alles tun,
was er konnte. Bis sie ihn durchschauten und wieder nach Hause schickten.
Außerdem brauchte er vielleicht mal eine Abwechslung. Watson schien ebenfalls froh, ihn los zu
sein.
»Auch wenn's nichts bringt, zumindest gehen wir beide uns für eine Weile mal nicht auf die
Nerven.«
Der Chief Superintendent, der aus Aberdeen stammte, hatte den Spitznamen »Farmer Watson«, ein
Spitzname, der jedem Polizeibeamten unter seinem Rang in Edinburgh geläufig war. Aber dann war
Rebus eines Tages, als er ein Schlückchen Malt zu viel intus hatte, der Spitzname vor Watson
persönlich herausgerutscht. Seitdem musste er feststellen, dass ihm mehr als das übliche Pensum
an lästigem Kleinkram, an Schreibtischtätigkeiten, Observierungen und Fortbildungskursen aufs
Auge gedrückt wurde.
Fortbildungskurse! Zumindest hatte Watson Sinn für Humor. Der letzte Kurs hatte »Management für
höhere Beamte« geheißen und war ein kleineres Desaster gewesen - nur Psychologie und wie man nett
zu untergeordneten Beamten war. Wie man sie involvierte, wie man sie motivierte, wie man eine
Beziehung zu ihnen herstellte. Rebus war in seine Dienststelle zurückgekehrt und hatte es einen
Tag lang probiert, einen ganzen Tag involviert, motiviert und Beziehungen hergestellt. Am Ende
des Tages hatte ein Detective Constable Rebus lächelnd auf den Rücken geklopft.
»Verdammt harte Arbeit heute, John. Aber mir hat's Spaß gemacht.«
»Nehmen Sie gefälligst Ihre Hand von meinem Rücken«, hatte Rebus ihn angefaucht. »Und nennen Sie
mich nicht John.«
Dem DC war der Unterkiefer heruntergeklappt. »Aber Sie haben doch gesagt...«, begann er, machte
sich aber nicht die Mühe, den Satz zu beenden. Der Spaß war vorbei. Rebus hatte versucht, ein
»Manager« zu sein. Hatte es versucht und gehasst.
Mitten auf der Treppe zur U-Bahn blieb er plötzlich stehen, stellte seinen Koffer und die
Aktentasche ab,

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