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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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würde ganz aus dem Häuschen sein.
»Und was ist mit Jan Crawford?«, fragte Rebus.
Flight zuckte erneut die Achseln. »Sie scheint absolut sauber. Keine Vorstrafen, kein Hinweis auf
Geisteskrankheiten, lebt zurückgezogen, doch die Nachbarn scheinen sie zu mögen. Wie Lamb sagte,
sie ist so sauber, dass es schon beängstigend ist.«
Ja, so war das mit den Blitzsauberen. Für einen Polizisten waren sie häufig so beängstigend wie
vielleicht für einen Forscher im Dschungel eine unbekannte Spezies. Es war die Angst vor dem
Neuen, dem Anderen. Mit der Zeit ging man nämlich davon aus, dass jeder etwas zu verbergen
hatte.
Lehrer schmuggelten im Urlaub Pornovideos aus Amsterdam; Anwälte nahmen bei ihren Wochenendpartys
Kokain; der glücklich verheiratete Parlamentsabgeordnete schlief mit seiner Sekretärin; der
Friedensrichter hatte eine Vorliebe für minderjährige Jungen; die Bibliothekarin hatte ein echtes
Skelett im Schrank; die engelhaft aussehenden Kinder hatten die Katze eines Nachbarn in Brand
gesteckt.
Und manchmal erwiesen sich solche Vermutungen als richtig.
Und manchmal wiederum waren sie es nicht. Cousins stand jetzt in der Tür, bereit zu gehen. Flight
legte ihm leicht eine Hand auf den Arm. Rebus fiel ein, dass er Flight etwas hatte sagen wollen,
aber wie sollte er es formulieren? Könnte er sagen, dass ihm Philip Cousins beinah zu sauber
vorkam, mit seinen kalten, manikürten Chirurgenhänden und seiner feinen Art? Darüber machte Rebus
sich jetzt Gedanken, ernsthaft Gedanken.
Da Flight mit Philip Cousins weggegangen war, um Lisa und ihre Beschützer zu suchen, ging Rebus
noch einmal ins Labor, um sich nach dem Ergebnis des ersten Speicheltests zu erkundigen.
»Tut mir Leid«, sagte der Techniker im weißen Kittel. Er sah aus, als wäre er noch keine Dreißig.
Unter seinem Laborkittel lugte ein schwarzes T-Shirt hervor, auf dem der Name einer Heavy Metal
Band prangte. »Ich fürchte, wir haben nicht viel Glück. Bisher haben wir nichts als H2O gefunden,
Leitungswasser. Wer auch immer diesen Briefumschlag zugeklebt hat, muss einen nassen Schwamm
benutzt haben oder ein Pad oder eins von diesen altmodischen Rolldingern. Keinerlei Spuren von
Speichel.«
Der Atem entwich aus Rebus' Lungen. »Was ist mit Fingerabdrücken?«
»Bisher negativ. Wir haben nur zwei Sätze gefunden, die aussehen, als würden sie mit denen von
Dr. Frazer übereinstimmen. Und auch mit Fasern und Fettspuren haben wir nicht mehr Glück. Ich
würde sagen, der Briefschreiber hat Handschuhe getragen. Keiner von uns hat je so was Sauberes
und Makelloses gesehen.«
Er weiß Bescheid, dachte Rebus. Er weiß, was wir alles versuchen könnten. Verdammt clever.
»Jedenfalls vielen Dank«, sagte er. Der junge Mann zog die Augenbrauen hoch und breitete die Arme
aus.
»Ich wünschte, wir könnten mehr tun.«
Als Erstes könntest du dir mal die Haare schneiden lassen, mein Sohn, dachte er bei sich. Du
siehst viel zu sehr wie Kenny Watkiss aus.
Stattdessen seufzte er. »Tun Sie einfach, was Sie können«, sagte er.
»Einfach, was Sie können.«
Im Weggehen spürte Rebus eine Mischung aus neu aufkeimender Wut und Machtlosigkeit, einen
plötzlichen Anfall von Frustration. Der Wolfsmann war einfach zu gut. Er würde aufhören zu töten,
bevor sie ihn erwischten; oder er würde einfach immer wieder und wieder töten. Niemand wäre mehr
sicher. Und am allerwenigsten, so schien es ihm, würde Lisa sicher sein.
Lisa.
Der Wolfsmann gab ihr die Schuld für die Geschichte, die Rebus erfunden hatte. Dabei hatte Lisa
nichts damit zu tun. Und wenn es dem Wolfsmann irgendwie gelänge, an sie heranzukommen, dann wäre
es Rebus' Schuld. Wohin brachte man Lisa? Rebus wusste es nicht. Flight hielt das für sicherer.
Aber Rebus wurde den Gedanken nicht los, dass der Wolfsmann ein Polizist sein könnte. Irgendein
Polizist sein könnte.
Vielleicht der kräftige Detective oder der dünne und schweigsame. Lisa war mit ihnen gegangen,
weil sie glaubte, dass sie sie beschützten. Wenn sie nun direkt in die Klauen des...? Wenn der
Wolfsmann genau wusste...? Wenn Philip Cousins...?
Von der Decke ertönte ein Lautsprecher.
»Telefongespräch für Inspector Rebus am Empfang. Telefongespräch für Inspector Rebus.«
Rebus lief das letzte Stück Flur entlang und eilte durch die Pendeltür am Ende. Er wusste nicht,
ob Flight noch im Haus war, und es war ihm auch egal. Sein Kopf füllte sich mit Horrorvisionen:
Wolfsmann, Lisa, Rhona, Sammy. Die

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