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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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kleine Sammy, seine Tochter. Sie hatte in ihrem Leben schon
genug Terror erlebt. Und das war auch seine Schuld gewesen. Er wollte nicht, dass ihr jemals
wieder ein Leid geschah.
Die Frau am Empfang hielt ihm den Hörer entgegen, als er sich näherte.
Und als er ihn in der Hand hielt, drückte sie einen Knopf am Apparat, um ihn mit dem Anrufer zu
verbinden.
»Hallo?«, sagte er atemlos.
»Daddy?« O Gott, es war Sammy.
»Sammy?« Nun brüllte er fast. »Was ist los? Was ist passiert?«
»O Daddy.« Sie weinte. Eine Erinnerung flammte vor ihm auf und entzündete seine Fantasie.
Telefonanrufe, Schreie.
»Was ist los, Sammy, sag es mir!«
»Es ist« - Schniefen - »es geht um Kenny.«
»Kenny?« Er runzelte die Stirn. »Was ist mit ihm? Hat er einen Unfall gehabt?«
»O nein, Daddy. Er ist einfach... einfach verschwunden.«
»Wo bist du, Sammy?«
»In einer Telefonzelle.«
»Okay, ich geb dir jetzt die Adresse von einer Polizeiwache. Da treffen wir uns. Wenn nötig, nimm
dir ein Taxi. Ich bezahl es, wenn du ankommst. Verstanden?«
»Daddy.« Sie schniefte erneut. »Du musst ihn finden. Ich mach mir solche Sorgen. Bitte finde ihn,
Daddy. Bitte. Bitte!«
Als George Flight am Empfang ankam, war Rebus bereits weg. Die Empfangsdame erklärte ihm, so gut
sie konnte, was passiert war, während Flight sich das Kinn rieb und auf Stoppeln stieß. Er hatte
sich mit Lisa Frazer gestritten, aber sie war auch wirklich starrsinnig gewesen. Auf attraktive
Weise starrsinnig, musste er zugeben. Sie hatte ihm erklärt, sie hätte zwar nichts gegen
Bodyguards, aber es käme überhaupt nicht in Frage, dass sie sich an einem »sicheren Ort«
verkriechen würde. Sie hätte einen Termin im Old Bailey, mehrere Termine sogar, Interviews, die
sie im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt führen wollte.
»Es hat mich Wochen gekostet, das alles zu arrangieren«, sagte sie, »und das werde ich jetzt auf
keinen Fall abblasen!«
»Aber meine Liebe«, hatte Philip Cousins in schleppendem Tonfall gesagt, »genau dort fahren wir
doch hin.« Flight wusste, dass er die Diskussion so schnell wie möglich beenden wollte, da er
bereits ungeduldig auf seine Uhr sah. Außerdem schien es, dass Lisa und Cousins sich von dem Mord
in der Copperplate Street her kannten und dass sie einiges gemeinsam hatten, worüber sie reden
wollten. Dass sie unbedingt losfahren wollten.
Also hatte Flight einen Entschluss gefasst. Was sollte es für Probleme geben, wenn sie ins Old
Bailey ging. Schließlich gab es kaum einen besser bewachten Ort in der ganzen Stadt. Ihr erstes
Interview war zwar erst in ein paar Stunden, doch das störte sie nicht. Sie meinte, sie hätte
nichts dagegen, sich eine Weile im Gerichtsgebäude umzusehen. Es würde ihr sogar Spaß machen. Die
beiden Beamten würden sie begleiten, auf sie warten und sie dann zu jenem sicheren Ort fahren,
den Flight bestimmt hatte. So hatte jedenfalls Lisa argumentiert und war darin von Philip Cousins
bestärkt worden, der »keinen Fehler in der Argumentation, my Lord« entdecken konnte. So wurde,
mit Lächeln ihrerseits und einem Achselzucken von Flight, das weitere Vorgehen beschlossen.
Flight sah hinter dem losfahrenden Ford Granada her - die beiden Beamten vorn, Philip und Lisa
Frazer auf dem Rücksitz. Absolut sicher, dachte er, absolut bombensicher.
Und nun war Rebus schon wieder abgehauen. Na ja, er würde ihn schon irgendwo erwischen. Er
bedauerte nicht, dass er Rebus hergeholt hatte, kein bisschen. Doch er wusste, es war seine
Entscheidung gewesen, die nicht völlig von den oberen Rängen gebilligt wurde. Wenn irgendwas
schief ging, würde Flights Pension auf dem Spiel stehen. Das wusste er nur zu gut wie alle
anderen auch. Deshalb war er in den ersten Tagen die ganze Zeit in Rebus' Nähe geblieben, um
sicher zu sein, dass er dem Mann vertrauen konnte.
Konnte er dem Mann vertrauen? Das war eine Frage, die er lieber nicht beantworten wollte, selbst
jetzt nicht, noch nicht mal vor sich selbst. Rebus war wie die Feder in einer Falle, er sprang
los, egal, was sich an den Köder heranmachte. Außerdem war er Schotte, und Flight hatte den
Schotten noch nie getraut, jedenfalls nicht seit dem Tag, als sie sich per Volksabstimmung dafür
entschieden, in der Union zu bleiben.

»Daddy!«
Sie läuft ihm in die Arme. Er drückt sie an sich und stellt fest, dass er sich dazu nicht mehr
allzu weit herunterbeugen muss. Ja, sie ist groß geworden, und trotzdem kommt sie ihm kindlicher
vor

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