Wolfsmale
Cousins und rieb sich die Hände. »Ich danke dir vielmals.«
»Ich bring dich zu ihnen«, sagte Flight. »Aber erst muss ich telefonieren.«
Cousins deutete mit dem Kopf zum Flur. »Und ich muss der Toilette einen Besuch abstatten. Bin
gleich wieder da.«
Sie sahen hinter ihm her, wie er hinausging. Flight grinste und schüttelte staunend den Kopf.
»Weißt du«, sagte er, »dass er schon immer so war, seit ich ihn kenne. Ich meine, diese feine
Art, wie alter Adel. Seit ich ihn kenne.«
»Er ist ein richtiger Gentleman«, sagte Rebus.
»Aber das ist es ja gerade«, sagte Flight. »Er stammt aus genauso einfachen Verhältnissen wie du
oder ich.« Dann wandte er sich an den Laborangestellten. »Darf ich mal Ihr Telefon
benutzen?«
Er wartete die Antwort gar nicht ab, sondern fing sofort an zu wählen.
»Hallo?«, sagte er in den Hörer, als sich endlich jemand meldete. »Wer ist da? Ach, hallo,
Deakin, ist Lamb da? Ja, können Sie mich mit ihm verbinden? Danke.« Während er wartete, zupfte
Flight unsichtbare Fäden von seiner Hose, die vom vielen Tragen glänzte. Alles an Flight, stellte
Rebus fest, schien abgenutzt. Sein Hemdkragen hatte einen Schmutzrand, und außerdem war der
Kragen zu eng. Er zwängte das lockere Fleisch am Hals so stark ein, dass es kleine Falten
bildete. Rebus merkte, wie er gebannt auf diesen Hals starrte, auf die Stelle mit den grauen
Haarstoppeln, wo der Rasierapparat versagt hatte. Zeichen von Sterblichkeit, so endgültig wie
eine Hand um eine Kehle. Wenn Flight zu Ende telefoniert hatte, würde Rebus dagegen protestieren,
dass er Cousins in Lisas Wagen mitfahren lassen wollte. Feine Art. Alter Adel. Einer der ersten
Massenmörder war auch ein Aristokrat gewesen.
»Hallo, Lamb? Was haben Sie über Miss Crawford herausgefunden?«
Flight hörte zu, den Blick auf Rebus gerichtet und bereit, alles Interessante sofort mitzuteilen.
»Ah-ha, okay. Hm, ich verstehe. Ja. In Ordnung.« Die ganze Zeit über erzählten seine Augen Rebus,
dass alles passte, dass Jan Crawford verlässlich war, dass sie die Wahrheit sagte. Dann wurden
Flights Augen ein wenig größer. »Wie war das noch mal?« Und er hörte konzentrierter zu, wandte
den Blick von Rebus ab, um das Telefon zu betrachten. »Das ist ja interessant.«
Rebus trat von einem Fuß auf den anderen. Was war interessant? Doch Flight war wieder zu
einsilbigen Bemerkungen zurückgekehrt.
»Ah-ha. Hm. Macht nichts. Ich weiß. Ja, ich bin mir sicher.« Seine Stimme klang irgendwie
resigniert. »Okay. Danke, dass Sie mich informiert haben. Ja. Nein, wir werden in ungefähr, ich
weiß nicht, vielleicht in einer Stunde zurück sein. In Ordnung, bis dann.«
Flight hielt den Hörer über das Telefon, legte ihn aber nicht sofort auf die Gabel, sondern ließ
ihn in der Luft schweben.
Rebus konnte seine Neugier nicht länger beherrschen. »Was ist?«, fragte er. »Was ist los? Ist was
passiert?«
Flight schien aus einem Tagtraum zu erwachen und legte den Hörer auf.
»Es geht um Tommy Watkiss«, sagte er.
»Was ist mit ihm?«
»Lamb hat gerade gehört, dass es nicht zu einem Wiederaufnahmeverfahren kommen wird. Wir wissen
noch nicht warum. Vielleicht glaubt der Richter, dass sich bei der Anklage das ganze Theater
nicht lohnt, und hat das dem Staatsanwalt gesagt.«
»Vergewaltigung einer Frau lohnt das Theater nicht?« Rebus war jeder Gedanke an Philip Cousins
vergangen.
Flight zuckte die Achseln. »Wiederaufnahmeverfahren sind teuer. Je der Prozess ist teuer. Wir
haben beim ersten Mal Mist gebaut, also kriegen wir keine zweite Chance. So was kommt vor, John,
das weißt du doch.«
»Natürlich kommt so was vor. Aber die Vorstellung, dass ein Dreckskerl wie Watkiss ungeschoren
davonkommt...«
»Keine Sorge, der bleibt nicht lange sauber. Verbrechen liegt ihm im Blut. Wenn er wieder was
anstellt, dann haben wir ihn, und nächstes Mal pass ich auf, dass nichts schief geht, da kannst
du dich drauf verlassen.«
Rebus seufzte. Ja, so was kam vor, ein paar gingen einem durch die Lappen. Mehr als ein paar.
Unfähigkeit oder ein zu milder Richter, eine uneinsichtige Jury oder ein bombensicherer Zeuge der
Verteidigung. Ein paar gingen einem durch die Lappen. Das war wie Zahnschmerzen.
»Chambers kocht bestimmt vor Wut«, sagte Rebus.
»O ja«, sagte Flight und musste bei der Vorstellung grinsen. »Ich wette, ihm kommt der Dampf
schon unter den Manschetten raus.«
Aber zumindest einer würde sich freuen, dachte Rebus: Kenny Watkiss.
Er
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