Wolfsmondnacht (German Edition)
gurgelnde Geräusche von sich.
Jean-François fand Émiles Herz. Das Herz fühlte sich warm und schwammig an und pulsierte unter seinen Fingern. Es war noch an einigen Stellen mit Émiles Leib verbunden. Jean-François zerriss die Adern und holte das Organ aus Émiles Leib hervor, der sich inzwischen nicht mehr bewegte. Sein Atem erstarb. Doch noch etwas anderes geschah. All das Haar zog sich in die Haut zurück, die Knochen verformten sich, Klauen und Schnauze schrumpften zusammen. Vor Jean-François lag nur noch sein nackter Stiefvater. Nichts wies mehr darauf hin, dass er ein loup-garou gewesen war.
Mit Émile war ein Teil von Jean-François’ Vergangenheit gestorben, zwar kein guter Teil, doch etwas war für immer gegangen. Jean-François verdrängte die wenigen guten Erinnerungen an Émile, dessen zuckendes Herz er in seinen Händen hielt. Er erhob sich und betrat die Küche. Es roch hier durchdringend nach Blut. Fast wie in einem Schlachthaus. Ein ungutes Gefühl ließ ihn herumfahren. Hinter der Tür lag Tante Camilles Leichnam zusammengekrümmt in ihrem eigenen Blut. Die loup-garous hatten ihr die Kehle aufgerissen. Er hatte sie nicht geliebt, doch dieses Ende wünschte er niemandem.
Arme Céleste! Jetzt war sie ganz allein hier. Würde sie nach all dem, was heute geschehen war, noch in Frieden in diesem Haus leben können? Letztendlich konnte sie es nur für sich selbst entscheiden. Er hoffte, sie würde mit Donatien weggehen, fort von all dem Schrecken. Er hoffte ebenfalls, Jeanne wäre wieder hier, wohlbehalten und unbekümmert, doch je länger sie weg war, desto unwahrscheinlicher wurde es, dass sie noch lebte, egal, was Pamina behauptete. Seine arme Céleste! Wie viel musste sie noch ertragen?
Er goss den Rest des Lampenöls über das Herz und es ins Herdfeuer. Zischend verdampfte die Feuchtigkeit. Das Herz verschrumpelte, wurde schwarz und verbreitete dabei einen merkwürdigen Geruch. Er vernahm Schritte hinter sich. Aus den Augenwinkeln sah er Céleste, die zu den zerstörten Küchenfenstern trat und hinaussah. Sie war überaus blass.
»Einer der toten loup-garous war der Bürgermeister von Dôle«, sagte sie.
Jean-François fuhr zu ihr herum. »Sicher?«
»Sehr sicher.«
» Merde! Sag bloß, die Werwölfe haben die Gesellschaft infiltriert?!«
»Jean-François!« Célestes Stimme war schrill vor Aufregung und Panik.
»Kommen noch mehr loup-garous ?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf und wandte sich zu ihm um. Ihre Augen glänzten wie im Fieberwahn in ihrem blassen Gesicht. »Nein, schlimmer, es ist die Stadtwache.«
Er dachte an die übel zugerichteten Leichen, unter anderem der des Bürgermeisters, und all das Blut. Sie würden es nicht mehr schaffen, alles zu beseitigen.
»Anzünden!«, rief Jean-François. »Zündet das Haus an!«
Kapitel 22
Jeanne blickte dem Mann misstrauisch entgegen. Mehrfach war er in den letzten Wochen bei ihr gewesen, hatte mit ihr gesprochen und ihr das Essen gebracht. Er war freundlicher als die beiden Wärter, die stumm vor ihrem Gefängnis standen.
Heute jedoch roch ihr Bekannter nach Angst.
Was beunruhigte ihn so? Ihre Maman würde es wissen. Wenn sie doch da wäre. Stets hatte sie sich so selbstständig gefühlt, doch in diesem Moment wollte sie sich nur noch in die Arme ihrer Mutter flüchten. Sie starrte dem Mann entgegen. Er blickte sich zu allen Seiten um, bevor er den Raum betrat, der seit Wochen ihr Gefängnis war. Er schloss die Tür geräuschlos hinter sich. Sein Blick erschien ihr gehetzt.
»Jeanne«, sagte er leise. Sie zuckte zusammen. »Du wolltest ihnen deinen Namen nicht nennen. Man hatte eine Vermutung und mir wurde befohlen, ihr nachzugehen. Sie wissen nicht, dass ich … Du bist es also wirklich.« Irgendetwas lag in seiner Stimme, eine merkwürdige Unterstimmung. Jeanne wusste jedoch nicht, was.
Jeanne starrte ihn an. Das wurde ja immer seltsamer.
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
Er schluckte. »Du musst von hier fort.«
»Das will ich schon seit der Nacht, in der Eure Leute mich gefangen genommen haben.« Sie starrte ihn misstrauisch an.
»Komme mit mir. Sofort. Und sei leise.« Sein Tonfall, obwohl flüsternd vorgebracht, ließ erkennen, dass er keine Widerrede duldete. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm zu trauen.
Jeanne folgte ihm die Tür hinaus und durch den dunklen Gang. Es roch hier muffig. Sie war froh, als er wieder eine Tür aufstieß und ihr Waldluft
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