Wolfsmondnacht (German Edition)
verbrannten Fleisches und schwarzer Rauch aufstiegen. Tante Camille schrie vor Entsetzen.
Jean-François vernahm einen Schrei. Der Zauber des Moments, der sich um sie gewoben hatte, zerriss wie ein filigranes Netz. Pamina sah ihn erschrocken an.
»Es gibt Schwierigkeiten«, sagte Jean-François. Erneut erklang ein Schrei.
»Du bist ein Mann von großer Intuition.«
»Ich muss gehen. Bitte lass es nicht einfach so vorbei sein. Du bedeutest mir zu viel.« Beschwörend sah er sie an.
»Verdient hast du es zwar nicht, aber ich gebe dir noch eine Gelegenheit.«
Jean-François schenkte ihr ein schwaches Lächeln. »Danke.«
Das Gespräch mit Pamina hatte seine gesamte Konzentration erfordert, sodass er den Eindringling nicht bemerkt hatte. Sicherlich handelte es sich um einen Dieb. Davon gab es viele.
Céleste griff nach dem Langmesser, das sie auf der Kommode im Flur lagerte. »Hinaus!«, schrie sie.
»Du weißt gar nicht, wie ähnlich du deiner Hurenmutter bist«, sagte Émile. Über sein Gesicht huschte ein Ausdruck, den sie nicht zu deuten vermochte.
»Du hättest sie nicht heiraten müssen.«
»Ich habe alles für sie aufgegeben. Alles. Du hast gar keine Ahnung, welchen Preis ich dafür bezahlt habe. Und was war der Dank dafür? Sie warf sich jedem Mann, der vorüberging, an den Hals.«
»Ach ja? Und wovon hätte sie leben sollen?«, fragte Tante Camille. »Nie hätte es ein so schlimmes Ende mit ihr genommen, hätte sie dich nicht kennengelernt. Du warst ihr Ruin!«
»Hexe!« Émile wandte sich Céleste zu. »Und nun sage mir, wo sich dein nichtsnutziger Bruder herumtreibt.«
»Suchst du mich?« Jean-François kam die Treppe herunter. Er hatte das Gespräch von oben gehört. Hinter sich wusste er Pamina, die ihm folgte.
»Ach, wie nett, Euch alle hier in trauter Runde zusammen zu sehen.« Émiles Stimme war voller Hohn.
»Olivier!«, rief Pamina.
Jean-François sah sie überrascht an. »Olivier? Für mich heißt er Émile.«
Er wandte sich Émile zu. »Ah, du führst ein Doppelleben? Deswegen warst du so oft weg.«
»Olivier ist mein zweiter Vorname, doch mein Rufname und Eurer nicht würdig. Er gehört dem Wolfsvolk, so wie mein Herz. Einst liebte ich Suzette. Ich liebte sie wirklich, doch es war verboten. Mein Volk verstieß mich, zwanzig Jahre lang war ich in der Verbannung, doch das ist jetzt vorbei!«
»Warst du schon immer ein loup-garou ?«, fragte Jean-François.
»Ich wurde als einer geboren, schön, stark und stolz. Ich bin mehr als du denkst, mon fils .«
»Er ist mein Halbbruder«, sagte Pamina, »und unser König.«
»Was?« Ungläubig sah Jean-François Pamina an. »Einen schönen König habt ihr.« Ihm gelang es nicht, den Spott in seiner Stimme zu unterdrücken. Er wusste auch nicht, ob er das überhaupt wollte. Zudem hatte er den Schock über Émiles Enthüllungen noch zu verdauen.
Émile aka Olivier ballte seine erhobene Hand zur Faust. »Dein Spott wird dir noch vergehen, Bluttrinker. Ein Jammer, dass dein Freund Alessio so unfähig war. Und so etwas nennt sich Auftragsmörder! Pah! Sogar Jacques, dieser alte Trunkenbold, stellte sich geschickter an als er!«
»Du warst beider Auftraggeber?«
»Wie ich bereits sagte: Ich bin mehr, als du denkst.« Émile lachte höhnisch. »Vor allem jedoch war ich immer der Schatten über deinem Leben. Ich war Bourgueil. Ich habe dein Haus verwüsten lassen. Ich habe die Katholiken gegen dich aufgehetzt. Ich war immer da, im Hintergrund, doch du in deiner Arroganz und Selbstüberschätzung hast es nicht gemerkt.«
»Warum? Was willst du von mir?«
»Dein Leben zerstören, so wie du meines zerstört hast. Bevor du gezeugt wurdest, gab es noch eine Möglichkeit, mit Suzette zusammenzufinden. Du nahmst sie mir. Sie liebte ihn, deinen Vater. Diese Närrin liebte ihn!«
»Darum wolltest du mich als Kind ersäufen?«
»Suzette wollte dich abtreiben, doch du hattest dich bereits zu sehr in ihrem Leib festgesetzt.«
»Warum hat Estelle mich damals gerettet?«
»Vielleicht dachte sie, du bringst ihr später mal was ein?«
»Estelle, die mich später doch noch verriet«, sagte Jean-François leise zu sich selbst, doch Émile vernahm sehr wohl seine Worte, was er am Ausdruck in dessen Augen erkannte.
»Wer denkst du, hat sie zu einem loup-garou gemacht?« Émile lachte heiser. »Sie war krank und wäre gestorben ohne mich. Ich verlängerte ihr Leben. Dafür hat sie für mich deine Briefe abgefangen. Das ist eine geringe
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