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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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die gleiche alte Struktur; ein neuer Anstrich konnte die Bausubstanz nicht ändern.
    Die Treppe vor meinem Zimmer endete neben der Hintertür, die an diesem Abend offenstand. Der Geruch von etwas Würzigem und Dunklem, fast, aber doch nicht ganz Verbranntem ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich hatte seit dem Café du Monde nichts mehr gegessen.
    Auch wenn mir jetzt die Zeit dazu fehlte, gönnte ich mir trotzdem eine Minute, um diesen Duft zu inhalieren, der so intensiv war, dass ich ihn beinahe zu schmecken glaubte. Ich musste mich beherrschen, um nicht wie ein Zeichentrickhund, der einen Leckerbissen wittert, schnüffelnd meiner Nase zu folgen.
    Die Band des heutigen Abends spielte eine langsame, erdige Melodie, und ich wiegte mich in ihrem Rhythmus. Ich schloss die Augen; durch die Fliegengittertür wehte eine Brise herein, die gleichzeitig kühl und warm war, die nach Sonne und Wasser und Mitternacht roch.
    Ich hörte ein Schlurfen draußen in der Dunkelheit und riss die Augen auf. Ich spähte durch das Fliegengitter, obwohl mir der gesunde Menschenverstand lauthals zurief, mich in den belebten Bereich zurückzuziehen, wo die Gäste sich aufhielten. Dumm nur, dass eine meiner besten und schlechtesten Charaktereigenschaften schon immer Neugier gewesen war.
    Was schlich dort draußen herum? Eine Ratte? Ein Hund? Oder etwas Gefährlicheres?
    Die Glut einer Zigarette leuchtete auf; dampfiger weißer Rauch kräuselte sich zum Himmel, und Zwillingsmonde wurden in den Gläsern von Rodolfos Sonnenbrille sichtbar, als er sich zu mir umwandte.
    „Was machen Sie hier draußen im Dunkeln?“, entfuhr es mir.
    „Ach, ist es dunkel?“
    Zugegeben, das war eine ziemlich blöde Frage gewesen. Für ihn machte es nun wirklich keinen Unterschied, außerdem konnte ich klar und deutlich erkennen, dass er eine rauchte. Trotzdem …
    Woher war er so plötzlich gekommen? Auf den ersten Blick hatte ich dort draußen nämlich nichts gesehen als die Nacht.
    Er zog ein weiteres Mal an seiner Zigarette – es war einer dieser langen, schlanken, antik aussehenden Zigarillos, von denen ich mir vorstellte, dass die Plantagenbesitzer sie geraucht hatten, während sie ihren Sklaven dabei zusahen, wie sie sich auf den Tabakfeldern abrackerten.
    „Rauchen ist nicht gut für Sie“, klärte ich ihn auf.
    Seine Reaktion bestand tatsächlich in einem Lachen – ein kurzer, bellender Laut, der kein bisschen amüsiert klang. „ Chica , die ganze Welt ist nicht gut für mich.“
    Rodolfo starrte weiter in meine Richtung; die Spiegelung des Vollmondes in seinen Brillengläsern war nervenzermürbend. „Was hatten Sie im ersten Stock zu suchen?“, fragte er.
    Eine Sekunde rätselte ich, woher er wusste, dass ich überhaupt oben gewesen war, bevor ich mich an die Behauptung meiner Mutter erinnerte, dass ich mich beim Treppensteigen angeblich wie ein Elefant anhörte.
    „Ich wohne dort, weil ich hier arbeite.“
    Mit einer trägen Bewegung schnippte er die Zigarette weg, deren glimmendes Ende wie eine scharlachrote Sternschnuppe nach unten sauste. Obwohl seine Schritte gedämpft und langsam klangen, war er so schnell an der Tür, dass mir nicht die Zeit blieb zu flüchten. Nicht, dass ich gewusst hätte, wohin.
    „Warum sollten Sie hier arbeiten wollen?“
    „Wegen des Geldes? Des Zimmers? Ihrer charmanten Art?“
    Er ignorierte meinen Versuch, witzig zu sein. Ein echter Versuch war es ja auch nicht gewesen.
    „Sie sollten nach Hause fahren.“
    „Ich bin zu Hause. Für den Moment.“
    „Ich meine, dass Sie dorthin zurückkehren sollen, wo auch immer Sie hergekommen sind.“
    „Sie wollen mich nicht hierhaben?“
    Die Frage hätte sarkastisch klingen sollen, nur dass sie kein bisschen sarkastisch herauskam. Stattdessen wirkte ich wie ein verirrtes, ängstliches kleines Mädchen, und verirrte, ängstliche kleine Mädchen verschwanden oft spurlos.
    Rodolfo atmete so tief ein, als versuchte er, meinen Geruch einzufangen. War das vielleicht so eine Intensivierung-der-Sinne-Sache? Weil er mich nicht sehen konnte, wollte er mich riechen? Der Gedanke hätte bizarr sein müssen, aber in Wirklichkeit war er aufregend.
    „Was ich will …“, knurrte er und trat noch einen Schritt näher.
    Ich wich zurück, und er verstummte mit schräg geneigtem Kopf. Als er schließlich weitersprach, klang seine Stimme wieder normal – oder zumindest so normal wie eine derart erotische Stimme klingen konnte. „Ich will, dass Sie verschwinden.“
    Seltsam,

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