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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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aber ich nahm ihm nicht ab, dass er das wirklich wollte, und trotz seines merkwürdigen Gebarens wollte ich es auch nicht. Er faszinierte mich unendlich.
    „King meinte, dass er das zu entscheiden habe“, begann ich.
    „Ach, wirklich?“ Rodolfo öffnete mit wenigen suchenden Handgriffen die Fliegengittertür und marschierte an mir vorbei in die Bar. Sobald die Leute ihn bemerkten, brachen sie in Jubel aus. Er hob beiläufig eine Hand, aber anstatt stehen zu bleiben, ging er schnurstracks zum Tresen und wartete dort auf King.
    Rodolfo sagte ein paar Worte; King gab mehrere zurück. Ich trat näher.
    „Wir brauchen sie“, argumentierte King.
    „Nein, das tun wir nicht.“
    „Vertrau mir, Johnny. Das Mädchen wird sich noch als nützlich erweisen.“
    „Du bist verrückt“, brummte Rodolfo, bevor er sich umdrehte und unter Schultergeklopfe und Willkommensrufen die Bühnenecke ansteuerte.
    Ich kapierte nicht, was vor sich ging. Rodolfo schien sich gleichzeitig zu mir hingezogen und von mir abgestoßen zu fühlen. Aber wie war das möglich, wo er mich doch nicht mal sehen konnte? Vielleicht hing es irgendwie mit meinem Geruch zusammen.
    King winkte mich zu sich, und wir trafen uns am Ende des Tresens.
    „Was hast du zu ihm gesagt?“, fragte er.
    „Was hat er denn gesagt?“
    King warf einen Blick in Rodolfos Richtung. „Er behauptet, dass ihn deine Stimme aus der Ruhe bringt.“
    „Ist das schlimm?“
    „Für Johnny schon.“ Mit besorgter Miene guckte King ein weiteres Mal zu Rodolfo, der sich inzwischen ans Klavier gesetzt hatte.
    „Warum?“
    King ließ mich ohne eine Antwort stehen.
    Ich musterte Rodolfo und dachte an den letzten Abend zurück. Er im Dunkeln hinter der Tür, ich im Flur, wo ich belauschte, wie er mit sich selbst sprach.
    Vielleicht hörte er eine ganze Reihe von Stimmen. Vielleicht befahlen sie ihm, Dinge zu tun, von denen ich lieber nichts wissen wollte. Wie zum Beispiel, Morde zu begehen.
    Plötzlich kam mir der Gedanke, nach Hause zu fahren, gar nicht mehr so übel vor.
    King drückte mir einen Notizblock samt Bleistift in die Hand. Ich starrte beides einen Augenblick an, dann hob ich den Kopf. „Ich dachte, ich wäre gefeuert.“
    „Du hast ja noch nicht mal angefangen.“
    „Aber …“ Ich sah rasch zu Rodolfo, der gerade etwas mit den Tasten anstellte, das mich über zerknüllte Laken und schwüle Louisiana-Nächte fantasieren ließ.
    „Johnny gehört zwar der Club, aber ich gehöre ihm deshalb noch lange nicht. Abgesehen davon …“ King zuckte die Schultern. „Wir haben niemanden sonst.“
    „Mensch, danke“, spottete ich. „Was muss ich tun?“
    „Die Bestellungen aufnehmen. Ich schenke die Drinks ein. Du servierst sie.“
    „Das ist alles?“
    „Ich sage dir, wie viel sie schuldig sind. Du kassierst ab. Und merk dir, wem welches Getränk gehört. Die Leute mögen das.“
    Der Abend schritt voran. Ich hatte geglaubt, dass es nicht schwer sein würde, mich zu erinnern, wer welchen Drink geordert hatte, aber wenn man gleichzeitig versucht, eine Bestellung zu notieren, während ein anderer Gast einem etwas anderes zuruft, überall gelacht und geschnattert wird, die Musik spielt und man noch drei andere Tische zu bedienen hat … vergisst man leicht.
    Ich fing an, kurze Beschreibungen neben die Bestellungen zu kritzeln. Wodka Tonic – rotes Hemd. Miller Lite – blauer Lidschatten. Das klappte ziemlich gut.
    Was nicht klappte, war das Herumzeigen von Katies Foto. Einige Gäste sahen es sich kaum an, andere weigerten sich ganz. Sie waren im Urlaub; der Mardi Gras stand kurz bevor, und sie wollten nichts von verschollenen Schwestern hören.
    Laissez les bons temps rouler!
    Jedenfalls wollte an diesem Abend niemand im Rising Moon zugeben, sie gesehen zu haben. Je mehr ich darüber nachdachte, desto idiotischer kam mir das Herzeigen des Fotos vor. Wie standen die Chancen, dass ich auf jemanden stoßen würde, der Katie getroffen hatte?
    Verdammt mies . Natürlich hieß das nicht, das ich aufgeben würde.
    Rodolfo spielte eine sehr lange Zeit. Zuerst Klavier, anschließend Saxophon; er begleitete erst eine Band, dann eine zweite.
    Das Gedränge wurde immer dichter. Jeder hatte Durst. Meine uralten Turnschuhe, die ich mehr aus Gründen der Nostalgie denn der Bequemlichkeit trug, waren für den Job ungeeignet. Meine Füße taten mir bis zu den Augäpfeln weh.
    Ich hatte so viel zu tun, dass ich nicht mitbekam, als Rodolfo den Club verließ. Doch dann löste sich die Menge

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