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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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auf, und als ich zur Bühnenecke schaute, saß dort plötzlich eine Frau am Klavier; von einem Saxophon war nichts zu sehen.

 
    6
    In dieser Nacht fiel ich so erschöpft ins Bett, dass ich noch im selben Moment einschlief, als mein Kopf das Kissen berührte, bis ich dann in der dunkelsten Stunde von allen, kurz bevor die Sonne den Horizont erreicht, keuchend aus dem Schlaf schreckte.
    Mein Herz hämmerte so wild, dass meine angestrengten Ohren nichts anderes hörten als ba-bumm, ba-bumm . Was – falls denn irgendwas – hatte mich aufgeweckt?
    In Philadelphia lebte ich schon seit Jahren allein; es gab also keinen Grund, in Panik zu geraten, nur weil ich mutterseelenallein im Rising Moon wohnte.
    Nur dass Philly mein Zuhause war. New Orleans war eine fremde – wenn nicht sogar befremdliche – Stadt.
    Etwas kratzte über den Fußboden im zweiten Stock. Ich setzte mich auf; mein Hals knackte, als ich das Kinn zur Decke reckte und blinzelnd nach oben spähte. Keine Ahnung, was ich zu sehen erwartete. Ich besaß keinen Röntgenblick.
    Mit angehaltenem Atem lauschte ich, aber das Geräusch kehrte nicht wieder.
    Trotzdem – irgendetwas hatte mich aus meinem Schlummer gerissen, mich sogar ins Land der Träume verfolgt. Obwohl ich nicht leicht aus der Fassung zu bringen war, glaubte ich nicht, wieder einschlafen zu können, solange ich mich nicht vergewissert hatte, dass ich nichts weiter gehört hatte als eine Maus, einen losen Fensterladen oder den Wind, der durch die Dachrinne pfiff.
    Als ich mich wenige Momente später mit nackten Füßen, ansonsten aber bekleidet, die Hintertreppe hinaufschlich, sehnte ich mich verzweifelt nach einer Taschenlampe, aber in meinem Zimmer war nirgendwo eine gewesen.
    Direkt vor mir ertönte ein Scharren wie von Fingernägeln.
    „Hallo?“, rief ich.
    Irgendetwas schoss an mir vorbei die Treppe hinunter – etwas Dunkles und Kleines, das kreischte wie die Todesfeen aus der Legende. Ich drückte mich flach an die Wand, während es vorbeijagte.
    Erst als es vom pechschwarzen Nichts unter mir verschluckt worden war, gelang es mir, das Geräusch, das das Biest gemacht hatte, zu identifizieren.
    „Eine Katze“, ächzte ich. „Bloß eine Katze.“
    Rums .
    Mein Blick zuckte nach oben. „Oder auch nicht.“
    Ein kühler Luftzug, der den Schweiß auf meiner Haut in Eis verwandelte, schien aus dem Nichts heranzuwehen, begleitet von einem allzu menschlichen Flüstern.
    Ich hatte nie an Geister geglaubt; dazu war ich zu praktisch veranlagt. Andererseits war ich auch nie mit welchen in Kontakt gekommen. Für mich gingen Glauben und Sehen Hand in Hand.
    Jedoch blieb mir, wie ich da allein in der wispernden Dunkelheit kauerte, nichts anderes übrig, als meine Überzeugung noch mal zu überdenken.
    Ich musste der Wahrheit auf die Schliche kommen, deshalb stieg ich die letzten Stufen bis zur angrenzenden Tür hinauf, drehte den Knauf und trat hindurch.
    Trotz meiner aufgerissenen, suchenden Augen konnte ich nicht das Geringste sehen, denn die Dunkelheit war so undurchdringlich, dass sie mich wie ein Samtvorhang einhüllte. Jenseits davon knurrte etwas.
    Mein Arm schoss zur Seite, und meine Finger tasteten an der Wand entlang. Ein Klicken folgte, dann erfüllte die einzelne Glühbirne in der Mitte der Decke das winzige Zimmer mit Licht.
    Neben dem dunkel verhangenen Fenster stand ein Bett. Darin warf sich wimmernd und ächzend eine Gestalt hin und her.
    John Rodolfo schien in den Klauen eines Albtraums gefangen zu sein. Er hatte die Decke weggestrampelt; er war nackt.
    Ich konnte nicht anders, als ihn anzusehen; ich war nicht blind. Ich konnte nicht anders, als ihn zu bewundern; ich war nicht tot.
    Auf seinem Körper glänzte ein dünner Schweißfilm, der seine straffen Muskeln und die glatte olivfarbene Haut noch reizvoller machte. Für einen Musiker besaß er einen Satz mächtig beeindruckender Brust- und Bauchmuskeln. Stemmte er etwa Klaviere?
    Peinlich berührt, weil ich einfach so bei ihm hereingeplatzt war, trat ich leise den Rückzug an, aber er hörte nicht auf, sich wie von schrecklichen Schmerzen geplagt stöhnend von einer Seite auf die andere zu werfen. Zögerlich blieb ich stehen.
    Ich konnte ihn nicht so zurücklassen. Mit Albträumen kannte ich mich aus; seit Katies Verschwinden hatte ich Dutzende gehabt und es immer vorgezogen, geweckt zu werden, anstatt bis zum bitteren Ende in einem gefangen zu sein.
    „Rodolfo?“
    Seine einzige Antwort war ein weiteres Stöhnen.
    „John?“

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