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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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verletzlicher wirken als je zuvor.
    Wie als Antwort auf meine Gedanken strauchelte er und brach fast in die Knie, bevor er sein Gleichgewicht wiederfand. War er tatsächlich betrunken?
    Noch bevor ich mich stoppen konnte, war ich schon aus dem Zimmer, dann jagte ich die Hintertreppe hinunter und zur Tür hinaus. Erst als der warme Wind über meine nackten Arme und Beine strich, realisierte ich, dass ich nur ein Paar Boxershorts und ein dünnes Spaghettiträgerhemd anhatte.
    Ich zögerte nur kurz, dann glitt ich aus dem Schatten des Gebäudes und hastete über die Straße. Niemand war hier draußen außer Rodolfo und mir, und er würde mich nicht sehen können.
    „Was tust du …“ Ich brach ab, als ich das Blut auf seinem Hemd entdeckte.
    Fluchend rannte ich die letzten Schritte zu ihm und umfasste seinen Ellbogen; als er zusammenzuckte, verringerte ich den Druck meiner Finger. „Was ist passiert?“
    „Überfallen“, flüsterte er.
    Auf seinem Unterkiefer prangte ein dunkler werdender Bluterguss, auf seiner Wange ein zweiter. Eine Sekunde lang rätselte ich, wie er seine Brille davor bewahrt hatte, zu Bruch zu gehen, dann wurde meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wie er seinen Körper umfing – schützend, als ob eine seiner Rippen gebrochen wäre. Die Finger, in denen er den Stock hielt, waren an den Knöcheln aufgerissen.
    „Wo? Warum?“, stieß ich hervor, und er lächelte – es war nur ein winziges Heben seiner Lippen, aber es haute mich um. Er war so verdammt attraktiv, dass mir schwindlig wurde.
    „Ich denke, das Warum war das Geld, chica . Ist es das nicht immer?“
    „Wie kann jemand einen …“
    „Blinden ausrauben?“, vollendete er. „Sprich es ruhig aus. Mir ist bewusst, dass ich blind bin.“
    Meine Mundwinkel zuckten. Je näher ich ihn kennenlernte, desto mehr mochte ich ihn. Was nicht gut war. Wenn ich mich schon zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder zu einem Mann hingezogen fühlen musste, warum konnte ich mich dann nicht zu einem wie Sullivan hingezogen fühlen?
    Weil das zu einfach gewesen wäre.
    „Na schön“, entgegnete ich knapp. „Wie kann jemand einen Blinden ausrauben?“
    „Viel leichter, als er einen Sehenden ausrauben könnte. Manche Menschen sind verzweifelt.“ Er versuchte, tief Luft zu holen, hielt jedoch inne, als ihm der Schmerz eine Grimasse ins Gesicht trieb. „Mit Verzweiflung kenne ich mich aus. Deshalb kann ich es ihnen nicht wirklich übel nehmen.“
    „Ich schon“, murmelte ich – und wünschte mir, die Missetäter hätten sich stattdessen mit mir angelegt. „Wir müssen dich in ein Krankenhaus bringen.“
    „Nein.“ Er versteifte sich. „Keine Ärzte. Von denen habe ich die Nase voll.“
    „Aber …“
    „Ich möchte einfach nur nach oben gehen.“ Er nickte mit dem Kinn zum Rising Moon .
    Einen Augenblick dachte ich darüber nach, warum er hierhergekommen war anstatt zu seinem Apartment, aber vielleicht war es zum Club näher gewesen. Es wäre auch möglich, dass er Hilfe gebraucht und gewusst hatte, dass ich hier sein würde.
    Der Gedanke ließ Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen. Keine Ahnung, warum es mir gefiel, gebraucht zu werden. Vielleicht lag es daran, dass ich Katie nicht hatte helfen können und deshalb jedem anderen helfen wollte, wenn es meiner Macht stand. Ein anderer Grund könnte sein, dass ich gut darin war.
    Als Rodolfo vom Bordstein trat, blieb er mit dem Stock in einem Spalt hängen und verlor die Balance. Ich fasste nach seiner freien Hand, und er zuckte zusammen. „Lass mich dir helfen.“
    Nach kurzem Zögern gab er nach.
    Wenige Minuten später erreichten wir das Zimmer im Dachgeschoss. Rodolfo setzte sich auf sein Bett, und ich sauste ins Bad. Er bewahrte dort nur sehr wenige Erste-Hilfe-Utensilien auf. Er bewahrte dort generell nur sehr wenig auf – Seife, Zahnpasta, ein paar Waschlappen und Handtücher.
    Ich kehrte mit den Waschlappen zurück. „Ich hole rasch ein bisschen Eis und Whiskey.“ Er schaute mich fragend an. „Alkohol für deine Knöchel. Kann schließlich nichts schaden. Es wird zwar wehtun, aber nicht so sehr wie eine Infektion. Hast du mit der Hand irgendwelche Zähne getroffen?“
    „Könnte sein“, murmelte er, und da wurde mir klar, dass er vermutlich gar nicht wusste, was er mit ihnen getroffen hatte. Dass er überhaupt etwas getroffen hatte, war schon verdammt erstaunlich.
    Ich lief nach unten in die Bar, fand ein paar leere Plastikbeutel, die ich mit Eis füllte, dann schnappte ich mir

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