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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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eine Flasche billigen Whiskeys – der Alkoholgehalt war unabhängig vom Preis immer derselbe – und rannte wieder nach oben.
    Im Türrahmen blieb ich wie angewurzelt stehen. Rodolfo hatte sein Hemd ausgezogen und tupfte seine Brust mit einem der Waschlappen ab. Sein Rücken zeigte zu mir, und für einen Moment war ich wie gebannt vom Spiel seiner Muskeln unter der glatten, gebräunten Haut. Ich wollte meine Zunge über seinen ganzen Körper gleiten lassen.
    Als er nach seinem Hemd griff, erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf seinen Brustkorb, bevor er ihn bedeckte. Mehrere offene Schnitte entstellten das ehemals perfekte Fleisch.
    „Sie hatten ein Messer dabei?“, fragte ich fassungslos.
    Er schloss ein paar der unteren Knöpfe, um seinen Bauch vor meinem Blick zu verbergen, bevor ich ihn mit meiner Hand auf seiner stoppte. „Ich sollte sie zuerst säubern.“
    „Es sind nur Kratzer, weiter nichts.“
    „Sie könnten sich entzünden.“
    Er schnaubte verächtlich.
    „Lass mich …“ Ich machte einen Schritt nach vorn; er wich einen zurück.
    „Nein.“ Er streckte mir den blutbefleckten Waschlappen entgegen. „Ich kann das allein.“
    Ich starrte ihn mehrere Sekunden lang an, aber mein böser Blick zeigte keine Wirkung. Schließlich tränkte ich den Lappen mit Whiskey und gab ihn ihm zurück. Er drehte sich um und desinfizierte seine Wunden.
    Er wirkte beinahe verlegen, so als wollte er nicht von mir beobachtet werden, als hätte er Angst, sich von mir berühren zu lassen, und das wollte so gar nicht zu dem Mann passen, den ich kannte. Aber wie gut kannte ich ihn schon?
    „Warum gehst du nachts allein aus?“, fragte ich.
    John schaute über seine Schulter; die Glühbirne spiegelte sich in seiner Sonnenbrille, und der Reflex war so grell, dass ich blinzeln musste. „Dies ist meine Stadt. War es schon immer.“ Er warf den rot verfärbten Waschlappen beiseite und spreizte seine schönen Hände. „Ich liebe sie. Ich kann ihr nicht fernbleiben.“
    „Auch wenn sie dich umbringt?“
    „Auch dann“, bestätigte er. „Aber ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird.“
    „Warum nicht?“
    „Weil“, er knöpfte sein Hemd vollständig zu, „ich sehr schwer umzubringen bin.“
    „Ach, wirklich?“ Ich ging näher, achtete jedoch darauf, genügend Geräusche zu machen, um ihn wissen zu lassen, dass ich kam. „Wieso das?“
    „Weil ich nicht sterben will.“
    Ich hatte gerade seine Hand genommen, um die zerschlagenen Knöchel mit Alkohol zu reinigen, aber bei seinen Worten hielt ich inne und drehte die Innenseite seines Handgelenks nach oben.
    „Nein?“, fragte ich und zeichnete mit dem Finger die dünne weiße Linie nach, die im Licht der nackten Glühbirne hell schimmerte.
    Seine Haut zuckte unter meiner Berührung, und er versuchte, mir seine Hand zu entziehen. Ich hielt sie weiter fest.
    „Das war vor langer Zeit“, flüsterte er. „Die Dinge haben sich verändert. Ich habe mich verändert.“
    Ich wünschte mir, seine Augen zu sehen, denn dann hätte ich vielleicht feststellen können, ob er log. Doch es erschien mir zu dreist, ihm die Sonnenbrille aus dem Gesicht zu pflücken, während ich sein vernarbtes Handgelenk hielt.
    „Du glaubst mir nicht?“, fragte er.
    Ich runzelte die Stirn und warf einen verstohlenen Blick auf sein anderes Handgelenk. Keine Narbe. Was auch immer das bedeuten mochte.
    „Das Ganze geht mich wirklich nichts an“, räumte ich ein. „Es sei denn, du möchtest darüber sprechen.“
    „Nein“, erwiderte er mit unüberhörbarer Schärfe. Es gab Momente, in denen er sprach wie ein europäischer Gentleman aus längst vergangenen Tagen, und andere, in denen er sich wie jeder x-beliebige Kerl anhörte. John Rodolfo war in mehr als einer Hinsicht ein Mysterium.
    Ich drehte seine Hand wieder um und hielt sie weiter gegen seinen Willen fest. „Ich werde jetzt diese Knöchel desinfizieren.“
    Da gab er seinen Widerstand auf. Der Alkohol musste höllisch gebrannt haben auf seinem aufgerissenen, blutigen Fleisch, aber er zeigte keine Reaktion, während ich mein Bestes – oder mein Schlechtestes – tat.
    Jetzt, da ich die Wunden gut sehen konnte, stellte ich fest, dass sie nicht so schlimm waren, wie es anfangs den Anschein gehabt hatte. Im gedämpften Licht des Mondes mussten die Kratzer tiefer gewirkt haben. „Du brauchst keinen Verband“, erklärte ich, woraufhin er mir vorsichtig seine Hand entzog.
    „Nein, mir fehlt nichts.“
    „Du solltest trotzdem Eis auf

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