Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten

Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten

Titel: Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
Vom Netzwerk:
einer sein. Erinnerst du dich, wie du mir von deiner Urgroßmutter und dem Bären erzählt hast? Sie konnte auf den Panther in sich zugreifen.“
    „Nur weil sie das konnte, kann ich es noch lange nicht. Ich weiß darüber rein gar nichts, Ian.“
    „Sie hat die Beschwörungsformel in ihren Papieren hinterlassen. Das Einzige, was du tun musst, ist glauben.“ Ich schnaubte verächtlich. „Und die entsprechenden Worte sagen“, schloss er.
    „Ich habe eine bessere Idee.“ Die Seile fielen von seinen Knöcheln. „Lass uns auf der Stelle von hier verschwinden.“
    Ich fasste nach den Fesseln um seine Handgelenke, als über uns ein derart greller Blitz vorbeizuckte, dass ich ihn sogar mit geschlossenen Augen noch sehen konnte. Der Donner, der ihm folgte, erschütterte den Berg bis ins Mark. Als er verklang, driftete mit dem Wind ein anderes Geräusch herbei.
    Das Krächzen eines Raben; der Flügelschlag übernatürlich großer Schwingen.
    „Vergiss deine Hände. Du brauchst sie nicht, um zu rennen.“ Ich zerrte ihn auf die Füße, aber als ich zur Tür lief, rührte er sich nicht. „Ian, lass uns verschwinden.“
    Er starrte mit schräg gelegtem Kopf zu dem Loch im Dach. „Es wäre zu spät, selbst wenn ich verschwinden wollte.“ Er senkte den Blick auf mich. „Was ich nicht tue. Ich bin gekommen, um diese Hexe unschädlich zu machen, und ich werde nicht gehen, bevor sie tot ist.“
    „Du bist hier, weil sie dich hergeschleift und zu Brei geschlagen hat“, erinnerte ich ihn. „Wenn wir bleiben, wird sie uns ins Land der Dämmerung schicken und sich an den übrigen Bewohnern meiner Stadt gütlich tun.“
    „Nicht, wenn du befolgst, was ich sage.“
    Mein Herz hämmerte so laut, dass ich das Schlagen der näher kommenden Flügel nicht mehr hören konnte. Dafür spürte ich es. Die Rabenspötterin ritt auf dem Sturm herbei.
    Nervös zupfte ich an den Knoten, die Ians Hände gefangen hielten. „Was muss ich tun?“
    „Der Zauber ist ganz einfach. Worte und Glaube. Ich sage sie dir auf Cherokee vor; du wiederholst sie.“
    „Ich werde nicht verstehen, was ich sage.“
    „Stimmt, ja.“ Ich zerrte ungeduldig an dem Seil, bis es nachgab. „Danke. Was wir sagen werden, ist Folgendes: ‚Ich spüre die Macht meiner Vergangenheit. Ich beschreite den Weg meines Volkes. Schenke mir das Wissen, die Kraft, die Magie des Panthers.‘ Kannst du mir folgen?“
    Ich nickte, dann ließ mich das grässliche Kreischen, das über uns ertönte, zusammenfahren.
    „Wiederhole das, was ich sage“, rief Ian mir zu.
    Wir sahen uns tief in die Augen, während wir gemeinsam die Worte sprachen. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, während der Wind durch die Fenster, die Tür, das Dach röhrte und gleich den unsichtbaren Schwingen eines Raben über meine Wangen strich.
    Das Kreischen schwoll an. Ich wollte mir die Ohren zuhalten. Plötzlich begann meine Brust zu schmerzen, als ob mich eine Faust in den Solar Plexus getroffen hätte.
    Die Hexe war da.
    „Siehst du sie?“, rief Ian.
    Ich schüttelte den Kopf, und der Schmerz mutierte zu scharfen, spitzen Nadeln der Marter. Ich fiel auf die Knie. Ich hörte nichts außer dem Donner am Himmel, der in meinen Ohren dröhnte wie das Schlagen meines sterbenden Herzens.
    Ein dumpfer Aufschlag riss mich aus meiner Agonie. Ian lag auf dem Rücken, die Augen aufgerissen, das Gesicht verzerrt. Er krallte die Finger in seine Brust. Unter seinen Handflächen, den Fetzen seines T-Shirts, wellte und kräuselte sich seine Haut, als ob etwas versuchte, darunter hervorzubrechen.
    „Nein“, flehte ich. „Nimm mich.“
    Gelächter – menschlich und vogelartig zugleich – schallte durch das Zimmer, um mich ob meiner Naivität zu verhöhnen. Die Rabenspötterin würde uns beide nehmen.
    Meine Brust brannte wie Feuer, mein Kopf drohte vor Sauerstoffmangel zu zerspringen. Ich fasste nach Ians Hand und spürte überrascht, wie er meine drückte.
    „Sprich die Worte“, flüsterte er. „Glaub an die Magie.“
    Ich hob mein Gesicht der Nacht entgegen, fühlte den Regen auf meiner heißen Haut. In der Sprache der Cherokee brüllte ich die Worte in den tobenden Sturm. Ich kannte die Bedeutung eines jeden einzelnen.
    Ein Surren erfüllte die Luft, alles flirrte vor Elektrizität. Hinter meinen geschlossenen Lidern sah ich meine Urgroßmutter. Ich erinnerte mich, wie sie auf einen Felsen gesprungen war, wie sie diesen Bären angefaucht hatte. Ich wusste, dass sie magische Fähigkeiten besessen

Weitere Kostenlose Bücher