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Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten

Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten

Titel: Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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von 1359 Metern auch nicht niedrig. Es gab kein Wasser am Gipfel; zahlreiche Menschen waren bei seiner Besteigung an Dehydration gestorben.
    Ich hatte keine Feldflasche dabei, aber das spielte keine Rolle. Die Sonne ging allmählich unter; ich würde es nicht vor Einbruch der Dunkelheit zur Spitze schaffen, was bedeutete, dass ich von Glück reden konnte, wenn ich Ian fand, bevor die Hexe ihn umbrachte. Die Gefahr auszutrocknen, war meine geringste Sorge.
    So sehr ich es auch wollte, durfte ich mich nicht zu schnell vorwärtsbewegen. Ich musste die Augen nach jedem Hinweis offen halten, ob Ian und Quatie noch dem Pfad folgten oder ihn irgendwo verlassen hatten.
    Etwa auf halber Höhe entdeckte ich ihn. Die oberflächliche Scharrspur eines Schuhs, dann zertretene Zweige und Blätter, gefolgt von tieferen Abdrücken in der weichen Erde unter den Bäumen. Die beiden bewegten sich parallel zum Gipfel anstatt auf ihn zu.
    Ich versuchte, mir einen Plan zu überlegen, was ich tun sollte, wenn ich sie fand. Meine Pistole war mit Silberkugeln geladen, aber ich wusste nicht, ob sie etwas würden ausrichten können. Ich müsste Quatie in Adsila-Gestalt erschießen – Hexen waren doch sterblich, oder? – , nur war es fraglich, ob ich es über mich brächte. Als Adsila, beziehungsweise Quatie, war sie ein Mensch. Als Quatie sogar einer, den ich liebte. Aber wenn ich wartete, bis sie sich in die Rabenspötterin verwandelte, würde sie nicht nur verdammt schwer zu töten sein, sondern auch verdammt schwer zu sehen.
    Die Hitze machte meine ohnehin feuchte Bluse noch feuchter. Insekten flogen mir in die Augen, hafteten an meinem verschwitzen Gesicht, während ich mir unablässig der tiefer sinkenden Sonne bewusst war.
    Die Schatten wurden länger. In der Ferne ertönte Donnergrollen. Der Wind trug den Geruch von Regen herbei.
    Ich erhaschte einen Blick auf ein Dach und schlich – für den Fall, dass Quatie nach mir Ausschau hielt – verstohlen darauf zu, indem ich von einem Baum zum nächsten huschte.
    Die kleine Blockhütte auf der Lichtung hatte schon bessere Tage gesehen. Die Veranda war hauptsächlich aus groben Ästen zusammengezimmert. Im Dach klaffte ein derart großes Loch, dass ich es sogar von meiner Position aus erkennen konnte, und die Fensterscheiben bestanden nur noch aus Bruchstücken.
    Mit meiner Waffe im Anschlag rannte ich quer über die Lichtung zur Rückseite des Gebäudes. Ich schaffte es, ohne einen wütenden Aufschrei oder einen Kugelhagel zu provozieren. Waren sie am Ende gar nicht hier?
    Ich spähte durch ein Fenster und zog rasch den Kopf ein. Jemand lag auf dem Bett.
    Da sich die Schatten in der unbeleuchteten Hütte mit der zunehmenden Dunkelheit, die das heranziehende Unwetter ankündigte, mischten, konnte ich nicht erkennen, ob es sich bei dem reglosen Bündel um Ian, Quatie oder jemand ganz anderen handelte.
    Ich glitt an der Rückwand entlang, linste vorsichtig um die Ecke, wiederholte das Ganze an der Seiten- und der Vorderwand, ehe ich endlich die Eingangstür erreichte. Ich holte tief Luft, stieß sie auf und trat geduckt ein.
    Nichts rührte sich. Niemand sprach. War der Körper auf dem Bett eine weitere Leiche?
    Meine Pistole im Anschlag, schlich ich darauf zu und zog mit meiner freien Hand das Laken weg.
    „Ian!“
    Jemand hatte ihm die Seele aus dem Leib geprügelt. Derselbe Jemand, daran bestand kein Zweifel, der ihn gefesselt hatte. Ich krallte die Finger in das Laken, bis meine Knöchel weiß wurden; dann fühlte ich nach seinem Puls und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als ich ihn fand.
    Er war bewusstlos. Dem vielen Blut in seinem Gesicht nach hatte er eine Kopfverletzung erlitten. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht allzu schlimm war.
    „Ian“, versuchte ich noch einmal vergebens. Ich sah mich nach Wasser um, um es ihm ins Gesicht zu schütten oder zumindest seine Lippen zu befeuchten. Wieder kein Glück.
    So gern ich es getan hätte, konnte ich ihn nicht den Berg hinuntertragen. Ich checkte Claires Handy. Kein Netz. Ich hatte nicht wirklich etwas anderes erwartet.
    Ich tätschelte ihm – behutsam, wegen des Blutes – das Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, woher es stammte – ob von seinem Kopf, seiner Nase, seinen Wangen oder seinem Kinn. Ich wollte nicht, dass er mit Schmerzen aufwachte.
    Heiße Tränen brannten in meinen Augen; ehe ich wusste, was ich tat, beugte ich mich nach unten und küsste seine geschwollenen Lippen.
    Sein Mund bewegte sich unter meinem.

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