Wolfstraeume Roman
reden.«
Ich folgte Red zu meiner Lieblingsstelle, einem kleinen Foyer, in dessen Mitte ein Brunnen stand. Das echte Haus El Grecos hatte einen ähnlichen Raum, der allerdings nach oben hin offen war, während es bei uns ein helles Oberlicht gab. Man konnte meine Eltern im Wohnzimmer hören, aber sie schienen trotzdem recht weit entfernt zu sein. Ich blickte aus einem der großen Fenster und atmete tief ein. Augenblicklich fühlte ich mich besser.
»Was ist los?«, fragte Red.
»Nichts«, erwiderte ich. »Ich fühle mich nur eingesperrt.«
Die Vorstellung, mit Red in seiner Blockhütte zu wohnen, hatte mir nicht behagt. Sie lag zu nahe bei Hunter und Magda, die weiterhin im Familienhaus der Barrows lebten. Außerdem wollte ich mich auch an keinem Ort aufhalten, an dem sich eine so wilde Magie ansammelte. Es fiel mir noch immer schwer, überhaupt daran zu glauben. Außerdem wollte ich kein Leben führen, in dem ich einmal pro Monat die Kontrolle über mich verlor – vor allem jetzt, nachdem ich wusste, wohin das führen konnte.
»Darüber wollte ich mit dir sprechen. Ich weiß, dass es für dich nicht leicht sein kann, hier bei deiner Mutter zu wohnen. Und ich glaube, dass ich eine Lösung für unser Problem gefunden habe.«
»Ich glaube, ich auch. Ich muss nach Manhattan zurück, Red.«
Für einem Augenblick sah er mich erstaunt an. Dann nickte er bedächtig. »Okay. Denkst du daran, wieder ans tiermedizinische Institut zurückzukehren?«
»Ja, ich würde meine Ausbildung als Assistenzärztin wirklich gern zu Ende bringen. Wenn sie mich überhaupt wieder nehmen.«
Red steckte die Hände in die hinteren Taschen seiner Hose und stieß einen leisen Pfiff aus. »New York also? Nun, wie es so schön heißt: Wohin du gehst, dorthin will auch ich gehen. Oder so ähnlich.«
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich werde die meiste Zeit arbeiten, Red.«
»Da du nachts oft nicht schläfst, haben wir aber zumindest ein paar Stunden nach Einbruch der Dunkelheit miteinander.« Er grinste. Mit den Händen noch immer in den Taschen, kratzte er mit der Spitze seines Cowboystiefels über den Boden. Er wirkte fast wie ein klassischer Filmcowboy. »Nach Einbruch der Dunkelheit ist sowieso die beste Zeit. Findest du nicht?«
»Du wirst es hassen, in der Stadt zu leben.«
Reds Augen wurden ernst und sein Hinterwäldler-Gebaren verschwand auf einen Schlag. »Du vielleicht auch, Doc. Seit der Verwandlung bist du nicht mehr in New York gewesen. Vergiss das nicht.«
»Dann muss ich das für mich selbst herausfinden«, entgegnete ich.
Er schlang seine Arme um meine Taille und wir blickten gemeinsam hinaus. Draußen war es stockdunkel. Man konnte nur noch die nackte braune Erde und die entlaubten Äste der Bäume vor dem Fenster erkennen. Auf einmal bemerkte ich etwas Glitzerndes.
»Es hat angefangen, zu schneien, Doc«, sagte Red leise.
Ich nickte, während mir auf einmal Tränen über die Wangen liefen.
»Du musst nicht weinen, Abra. Ich werde dich bestimmt nicht so einfach ziehen lassen. Dafür habe ich viel zu lange die Richtige gesucht, um mich jetzt von so etwas wie einer Assistentenstelle abhalten zu lassen. Ich kann noch ein paar Jahre auf dich und Kinder warten, wenn es das ist, was du willst.«
Auf der anderen Seite der Fensterscheibe sah der Schnee pulverweich aus. Ich blickte den Flocken hinterher. In meinem Rücken spürte ich Reds Herz pochen. »Dann werde ich eben eine Weile pendeln«, fuhr er frohen Mutes fort. »Einige Jahre sehen wir uns halt nicht so oft. Das ist doch nicht wirklich schlimm, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte ihm glauben, was er sagte. Aber ich hatte den alten Glauben verloren, der mich so lange an Hunter gebunden hatte.
Vielleicht würde Red tatsächlich bei mir bleiben und zwischen Manhattan und Northside hin und her pendeln, wenn ich mal einen Tag frei hatte. Aber ich erinnerte mich noch zu gut daran, wie er, das Kleid meiner Mutter um sich gewickelt, in der Ecke gekauert und gegen seine Instinkte angekämpft hatte. Später hatte er mir erklärt, seine Metamorphose kontrolliert herbeigeführt zu haben. Angeblich war sein erster Angriff auf meine Mutter und das spätere Lecken ihres Handgelenks alles nur ein Trick gewesen, um Hunter und Magda in die Irre zu führen. Ein Teil von mir glaubte ihm. Gleichzeitig fand ich es nicht gerade beruhigend zu wissen, wie gut er lügen und schauspielern konnte. Wenn Red wirklich nur vorgegeben hatte, die Beherrschung zu verlieren,
Weitere Kostenlose Bücher