Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
hochschwangere Frau. Als Sie verschwunden waren, bestand Mordverdacht, so dass Ihr Haus wie der Schauplatz eines Verbrechens behandelt wurde; die Spurensicherung sprühte jede Handbreit mit Luminol ein, um Blutspuren sichtbar zu machen. Wir fanden sie überall in der Küche. Er hat Sie verletzt, Mara. Daran besteht kein Zweifel.«
»Das hat er«, erwiderte Lily. »Aber er hat mich nie geschlagen.«
»Aber das Blut …«
»Er hat mich manchmal mit voller Wucht angerempelt, wenn er an mir vorüberging, so dass ich das Gleichgewicht verlor. Und dann sagte er, Schwangere wären eben ungeschickt und ich hätte ihm keinen Platz gelassen. Dabei habe ich mir eine Platzwunde am Kopf zugezogen. Er sagte, es sei ein Versehen gewesen, ein Missgeschick.« Sie hielt inne, die Vergangenheit holte sie wieder ein. »Ich habe ihm geglaubt, lange Zeit …«
»Aber nicht an besagtem Abend?«
»Nein. An jenem Abend hatte sich etwas geändert. Seine eiskalte Wut …« Sie unterbrach sich, blickte Rose an. »Entschuldigung, aber ich kann jetzt nicht darüber reden. Ich muss meine Tochter ins Bett bringen.«
»Hübsches Mädchen«, sagte der rothaarige Polizist. Aus irgendeinem Grund glitzerte es in seinen Augen.
»Was dachten Sie denn«, warf Marlena ein. »Sie ist Lily wie aus dem Gesicht geschnitten.«
»Ich finde, sie hat große Ähnlichkeit mit Maeve«, erwiderte Patrick Murphy.
»Granny!«, stieß Lily atemlos hervor.
»Sie vermisst Sie, Mara. Ich nehme an, Sie hatten schwerwiegende Gründe für Ihre Flucht, und sie war überzeugt davon, dass es der einzige Weg war. Einen Menschen gehen zu lassen, den man über alles liebt, ist das größte Opfer, das eine Großmutter bringen kann.«
»Sie hatte nichts damit zu tun«, erwiderte Lily zitternd, um ihrer Großmutter Schwierigkeiten zu ersparen.
»Mag sein. Sie benutzt jeden Tag das Nanouk-Brillenetui, das Sie gestickt haben. Und sie hat es geschafft, mich auf ihre Fördermitgliedschaft des Aquariums aufmerksam zu machen. Sie haben ihr die Mitgliedschaft geschenkt – wozu eigentlich, damit sie sich Belugawale anschauen und sich ausmalen kann, Ihnen nahe zu sein?«
»Sie hat es Ihnen erzählt?«
Der Polizist nickte. »Und sie hat mir das da gegeben –« Er deutete auf den Zeitungsausschnitt über das Fährunglück in Ard na Mara, den Lily in der Hand hielt. »Wissen Sie, was ich denke?«
»Was?« Lily schlang die Arme um Rose, hielt Liams Hand und wusste, dass sie schleunigst weg musste – weg aus dem Gasthof, weg von dem Polizisten, weg von dem Gespräch über ihre Großmutter. Sie konnte nicht alles auf einmal verkraften – Roses Operation, die Beziehung zu Liam und nun das …
»Sie brauchte mich, um Sie zu finden. Sie hat mir die Hinweise gegeben, die zu Ihnen führten, Mara.«
»Ausgeschlossen. Sie hatte keine Ahnung, wo ich stecke.«
»Mag sein. Aber sie wusste, dass ich Sie irgendwann finde. Wahrscheinlich dachte sie, jetzt reicht es. Die Situation hat sich geändert, und sie braucht Sie zu Hause. Denken Sie mal darüber nach, Mara.«
»Mommy?« Rose klang beunruhigt und erschöpft. Jessica stand neben ihr wie eine Leibwache. Cindys Tochter Allie hatte sich wenige Schritte entfernt postiert, mit gleichermaßen grimmigem Blick.
»Mein Name ist Lily. Mara gibt es nicht mehr. Verstehen Sie? Ich möchte, dass es so bleibt. Und jetzt muss ich meine Tochter nach Hause bringen.«
»In Ordnung, solange Sie nicht vergessen, dass ich noch einige Fragen an Sie habe.«
Lily nickte wortlos. Schweigend ließ sie sich von Liam mit Rose aus dem Gasthof zu seinem Truck führen. Die Lichter von Cape Hawk blieben hinter ihnen zurück, als sie zu den im Dunkel verborgenen Klippen und Kiefernwäldern gelangten, die Lily seit langem – und immer noch – als ihr Zuhause betrachtete.
Doch die Gegenwart des Mannes, der unlängst Kontakt mit ihrer Großmutter gehabt hatte, hatte sie erschüttert; sie musste sich an Rose festhalten, um Fassung zu bewahren.
Marisa lehnte am Empfangstresen und sah zu, wie Jessica Rose auf die Veranda folgte und ihr zum Abschied winkte. Kaum waren die drei davongefahren, summte es bei den Nanouks wie in einem Bienenkorb.
»Hast du das gewusst?«
»Ich habe geahnt, dass sie auf der Flucht war.«
»Wusstest du auch, wovor?«
»Ich konnte es mir denken. Sie wirkte gehetzt, als sie auf Cape Hawk auftauchte.«
»Sie verhaspelte sich, als sie sich vorstellte«, sagte Cindy. »Alison und mir ist das natürlich sofort aufgefallen. Wir kamen
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