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Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Titel: Wolken über dem Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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kann doch nicht so schlecht sein.«
    »Als ich jung war, habe ich die Fiddle gespielt.« Marisa starrte auf das Poster einer Band und sah dabei eine andere: vier junge Frauen in weißen Kleidern, mit Gitarre und Fiddle, unter einem Banner mit der Aufschrift Fallen Angels . »Ich habe damit meine Ausbildung zur Krankenschwester finanziert und jeden Freitag in irischen Bars gespielt.«
    »Wer weiß, vielleicht fangen Sie wieder damit an«, entgegnete er.
    »Mommy.« Jessica kam herüber. »Allie hat gefragt, ob ich bei ihr übernachten darf.«
    »Von mir aus gerne«, sagte Cindy.
    Aufgewühlt von ihrer Unterhaltung bedankte sich Marisa bei Patrick Murphy, dann ging sie zu Cindy und Allie, um die Einzelheiten zu besprechen. Jessica durfte sich ein Nachthemd ausleihen – und Cindy versprach, sie spätestens morgen Mittag gegen zwölf nach Hause zu bringen. Marisa sagte ja; sie war froh, dass Allie Jessica gebeten hatte, bei ihr zu übernachten – sie wollte allein sein. Um nachzudenken und weitere Nachforschungen anzustellen.
    Sie gab ihrer Tochter einen Gutenachtkuss, verabschiedete sich von ihren Freundinnen und reichte Patrick Murphy die Hand. Er hielt sie für den Bruchteil einer Sekunde zu lange fest; Marisa blickte in seine Augen, blaue Augen, von Sorgen überschattet. Eine unausgesprochene Frage lag darin, die sie nicht einmal ansatzweise beantworten konnte: Alles in Ordnung?
    Er war kein Polizist mehr – er befand sich im Ruhestand. Und Cape Hawk fiel, damals wie heute, ohnehin nicht in seine Zuständigkeit. Marisa öffnete den Mund, hätte ihm gerne eine Frage gestellt. Doch das wäre vermessen gewesen. Es war schließlich nicht sein Problem. Und abgesehen davon hatte sie sich schon immer damit schwergetan, jemanden um Hilfe zu bitten.
    »Vergessen Sie nicht die Musik«, rief er ihr nach.
    Und so ging sie hinaus zu ihrem Auto, stieg ein und fuhr durch das Steintor des Parkplatzes, der zum Gasthof gehörte. Sternenlicht funkelte auf dem onyxfarbenen Wasser der Bucht. Durch das geöffnete Fenster hörte sie die Rufe der Nachtvögel, deren goldene Augen sie auf dem Heimweg beobachteten. Sie waren wie Wächter, hielten Ausschau, schützten sie vor Unheil. Kiefernwälder säumten die Straße zu beiden Seiten, das Geäst der Wipfel miteinander verwoben.
    Jessica begann, sich auf Cape Hawk heimisch zu fühlen. Marisa dachte an all das Gute, das ihnen seit ihrer Ankunft in der kleinen Stadt zuteilgeworden war. Die Freundschaft zu Rose hatte Jessica angespornt, Kissen aus Kiefernnadeln und Ohrringe aus Kiefernzapfen zu machen, um ihr zu helfen. Marisa war stolz auf ihr Kind, das aus einem völlig uneigennützigen Grund einen solchen Fleiß entwickelt hatte.
    Sie schaltete die Musikanlage ein. Als ›Aurora‹ von den Spirits ertönte – Jessicas Lieblingsmelodie – wechselte sie rasch die CD. Noch etwas Gutes, das zu Bruch gegangen war. Marisa fuhr weiter, sann darüber nach, wie viele gute Dinge in ihrem Leben von einem Menschen zerstört worden waren, den sie über alle Maßen geliebt hatte. Im Gegensatz zu Patricks Worten über die Musik erfüllten sie nun diese Klänge mit Schmerz.
    Jessica war nicht im Auto, und Marisa konnte ihren Gefühlen freien Lauf lassen – sie hatte sie tief in ihrem Herzen verborgen, spürte sie bis ins Mark. Ihretwegen war sie oft mitten in der Nacht aufgewacht, zitternd wie die leisen Stöße eines Erdbebens. Nun begann sie zu weinen, leise zuerst, dann immer lauter schluchzend. Die steil aufragenden Klippen und Bäume dämpften jedes Geräusch, als sie weiterfuhr und alles herausließ, was sich in ihr angestaut hatte.
    Lily mit Liam und Rose glücklich zu sehen, ihren wirklichen Namen und ihre Geschichte preisgeben zu können – danach sehnte sich Marisa. Sie vermisste ihre Mutter. Sie hatte eine Menge aufgegeben, als sie vor Ted geflohen war. Doch nun wurde sie nur noch von dem Wunsch beseelt, ihre Mutter wiederzusehen.
    Sie parkte hinter dem Haus, öffnete die Autotür und saß noch eine Weile reglos da. Der Geruch nach Wald und Meer, würzig durch die Kiefern und wilden Beeren, Salz und Eisenkraut, war wie Sommerwein – er stieg zu Kopf, machte trunken. Marisa atmete ihn tief ein, wusste, dass sie aus einem bestimmten Grund hierhergekommen war. Die Begegnung mit Lily und den Nanouks hatte sie gestärkt.
    Aber war sie auch stark genug für den nächsten Schritt? Sie wusste es nicht.
    Doch sie schloss die Autotür, die Sinne geschärft, jederzeit damit rechnend, dass sich

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