Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
»Ich habe versucht, Rose auf meine Weise zu helfen, finanziell.« Sie hob das Kinn. »Auch wenn ich keine Nanouk bin.«
Anne sah ihre Schwiegermutter verwundert an und erwiderte ebenfalls im Flüsterton: »Angesichts dessen, was du gerade für uns getan hast, bist du eine von uns, Camille.«
Die Frauen bildeten eine undurchdringliche Mauer, wobei Liam ein wenig abseits stand, und als Anne näher trat, sah sie, dass sie respektvollen Abstand zu Rose hielten. Sie trauten sich nicht, ihr zu nahe zu kommen, aus Angst, sie zu zerdrücken – aber alle wollten sie berühren, sie streicheln, sie wissen lassen, wie dankbar sie waren, dass sie wieder zu Hause war, gesund und munter. Die Wiedervereinigung galt für alle und Rose, Lily eingeschlossen. Anne sah, wie Marisa Lily stürmisch umarmte und ihr etwas ins Ohr flüsterte.
Es herrschte ein solches Getöse – alle lachten, weinten und redeten durcheinander, die keltische Musik drang vom anderen Ende der Lobby herüber, und Annes Herz klopfte zum Zerspringen –, dass sie sich fragte, ob er sich überhaupt Gehör verschaffen konnte.
»Mara«, rief Patrick Murphy; seine Stimme klang angespannt.
Sowohl Marisa als auch Lily blickten erschrocken auf.
Kapitel 25
J a?«, sagte Lily. In der Lobby wurde es mit einem Mal totenstill. Rose klammerte sich an ihre Hand und starrte den fremden Mann an, der sich ihnen näherte.
»Ich bin Marisa«, erklärte Marisa.
»Ich sagte Mara «, entgegnete der Mann. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge und sah Lily an, als würde er sie seit langem kennen. In seinen Augen spiegelte sich eine Mischung aus Triumph und Fassungslosigkeit wider, als konnte er nicht recht glauben, dass seine Suche endlich von Erfolg gekrönt war.
»Lily – sag nichts.« Anne trat einen Schritt vor. »Kein einziges Wort. Liam, holst du bitte Jude?«
Doch Liam drängte es zu Lily; sie spürte, wie er seinen Arm um ihre Schulter legte. Sie hatte den vagen Eindruck, dass ihre Freundinnen nicht genau wussten, ob sie sich für Liam und Lily freuen oder sich vor der unverhofften Wende des Abends fürchten sollten.
»Schauen Sie sich bitte das Bild an«, sagte der Mann und reichte es Lily. »Und diesen Zeitungsausschnitt.«
Sie betrachtete beides. Es waren Artefakte aus einer anderen Zeit und Welt, doch ihre Augen füllten sich mit Tränen. Weniger wegen der Berichterstattung oder des Fotos, sondern weil sie das Datum in der rechten oberen Ecke sah, geschrieben in der ihr vertrauten eleganten Handschrift.
»Mein Name ist Patrick Murphy«, stellte sich der Mann vor. »Detective Patrick Murphy, im Ruhestand. Ihr Fall war mein Schwanengesang, der Schlusspunkt unter einer langen und erfolgreichen beruflichen Laufbahn. Zu dumm, dass es mir nicht gelang, ihn aufzuklären.«
Lily spürte, wie sich Liam entspannte, ein wenig. Vermutlich hatte er den Detective für den Hai gehalten, ihren Ehemann. In die Betrachtung der Handschrift vertieft, war sie noch nicht in der Lage, auch nur einen Ton herauszubringen.
»Touché – Ihre Freundinnen haben es faustdick hinter den Ohren!«, sagte Patrick Murphy trocken. »Alle haben Sie auf dem Foto wiedererkannt – kein Wunder. Sie haben sich kein bisschen verändert. Aber sie ließen sich nichts anmerken, behaupteten, Sie nie gesehen zu haben. Natürlich gilt es zu bedenken, dass ich gerade erst angekommen bin. Ich hätte sie schon noch mit meinen unerbittlichen Verhörmethoden kleingekriegt.«
Irgendjemand, wahrscheinlich Marlena, schnaubte verächtlich.
»Ich weiß Bescheid über die Nanouks«, fuhr er fort.
»Ist es ein Verbrechen, einem Club anzugehören?«, fragte Anne schnippisch.
»Nein. Ganz und gar nicht. Das einzige Verbrechen, das begangen wurde, ist fast verjährt. Der Täter konnte nie zur Rechenschaft gezogen werden.«
Lily zuckte zusammen. Gab es ein Gesetz, das die Flucht verbot? Sie wusste, dass es umfangreiche Ermittlungen gegeben hatte – viele Stunden Polizeiarbeit, die eine Menge Geld gekostet hatten. Sie fragte sich, was für eine Strafe auf spurloses Verschwinden stand.
»Sie hat nichts Unrechtes getan«, knurrte Cindy. »Ich verpasse Ihnen einen Tritt, wenn Sie nicht aufhören, so daherzureden, auch wenn Sie mal bei der Polizei waren. Sie haben keinen blassen Schimmer, was sie durchmachen musste …«
»Cindy«, mischte sich Anne vermittelnd ein.
»Das einzige Verbrechen wurde von dem Mann begangen, der Sie zusammengeschlagen hat«, sagte Patrick. Er trat einen Schritt näher. »Eine
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