Wolken über Ebou
sich nicht sicher, ob ihre Hände sich zuerst an seinem Hemd oder seine sich zuerst an ihrem zu schaffen machten, aber eines wußte sie genau: Wenn er jetzt auch nur versuchte aufzuhören, würde sie einen von Riallins Speeren holen - alle Speere - und ihn erstechen.
Auf ihrem Weg aus dem Sonnenpalast betrachtete Cadsuane die Aiel-Wilden so eingehend wie möglich, ohne daß es auffiel. Corele und Daigian folgten ihr schweigend. Sie kannten sie inzwischen gut genug, um sie nicht mit Geplapper zu stören, was man nicht von allen behaupten konnte, die einige Tage in Arilyns kleinem Palast rasteten, bevor sie sie weiterschickte. Viele Wilde, von denen jede die Aes Sedai wie einen fliegenumschwirrten, mit eiternden Wunden übersäten Fluch ansah. Einige Menschen betrachteten Aes Sedai mit Ehrfurcht oder Bewunderung, andere mit Angst oder Haß, aber Cadsuane hatte niemals zuvor Verachtung erlebt nicht einmal von Weißmänteln. Dennoch sollte jedes Volk, das so viele Wilde hervorbrachte, einen Strom von Mädchen zur Burg schicken.
Bei Gelegenheit würde man sich darum kümmern müssen, und in den Krater des Verderbens mit den Bräuchen, wenn es nötig war, aber nicht jetzt. Die Neugier des al'Thor-Jungen mußte weiterhin ausreichend geweckt werden, daß er sie in seiner Nähe duldete, und er mußte ausreichend aus dem Gleichgewicht gebracht werden, daß sie ihn in die Richtung bringen konnte, die sie wollte, ohne daß er es merkte. Und alles, was dem entgegenstand, mußte auf die eine oder andere Weise kontrolliert oder unterdrückt werden. Nichts durfte ihn auf die falsche Art beeinflussen oder aufregen. Nichts.
Die glänzend schwarze Kutsche wartete hinter einem geduldigen Gespann von sechs Grauen im Hof. Ein Diener eilte herbei, um ihr den mit zwei Silbersternen auf roten und grünen Streifen bemalten Schlag zu öffnen, und verbeugte sich so tief vor ihnen dreien, daß sein kahler Kopf beinahe seine Knie berührte. Er war in Hemdsärmeln und Hose. Seit Cadsuane in den Sonnenpalast gekommen war, hatte sie noch niemanden in Livree gesehen, außer einigen Dienern in Dobraines Farben. Die Dienstboten waren zweifellos unsicher, was sie tragen sollten, und fürchteten, einen Fehler zu begehen.
»Ich könnte Elaida häuten, wenn ich sie zu fassen bekäme«, sagte sie, als die Kutsche schaukelnd anfuhr. »Dieses törichte Kind hat meine Aufgabe fast unmöglich gemacht.«
Und dann lachte sie so jäh, daß Daigian sie anstarrte, bevor sie sich unter Kontrolle bekommen konnte. Coreles Lächeln weitete sich erwartungsvoll. Keine von beiden verstand, und sie versuchte nicht zu erklären. Ihr ganzes Leben lang war der beste Weg, jemanden für etwas zu interessieren, gewesen, zu sagen, es sei unmöglich. Aber andererseits waren mehr als zweihundertsiebzig Jahre vergangen, seit sie zuletzt einer Aufgabe gegenübergestanden hatte, die sie nicht erfüllen konnte. Jetzt könnte jeder Tag ihr letzter sein, aber der junge al'Thor wäre ein passendes Ende von allem.
GLOSSAR
VORBEMERKUNG ZUR DATIERUNG
Der Tomanische Kalender (von Toma dur Ahmid entworfen) wurde ungefähr zwei Jahrhunderte nach dem Tod des letzten männlichen Aes Sedai eingeführt. Er zählte die Jahre Nach der Zerstörung der Welt (NZ). Da aber die Jahre der Zerstörung und die darauf folgenden Jahre über fast totales Chaos herrschte und dieser Kalender erst gut hundert Jahre nach dem Ende der Zerstörung eingeführt wurde, hat man seinen Beginn völlig willkürlich gewählt. Am Ende der Trolloc-Kriege waren so viele Aufzeichnungen vernichtet worden, daß man sich stritt, in welchem Jahr der alten Zeitrechnung man sich überhaupt befand. Tiam von Gazar schlug die Einführung eines neuen Kalenders vor, der am Ende dieser Kriege einsetzte und die (scheinbare) Erlösung der Welt von der Bedrohung durch Trollocs feierte. In diesem zweiten Kalender erschien jedes Jahr als sogenanntes Freies Jahr (FJ). Innerhalb der zwanzig auf das Kriegsende folgenden Jahre fand der Gazareische Kalender weitgehend Anerkennung. Artur Falkenflügel bemühte sich, einen neuen Kalender durchzusetzen, der auf seiner Reichsgründung basierte (VG = Von der Gründung an), aber dieser Versuch ist heute nur noch den Historikern bekannt. Nach weitreichender Zerstörung, Tod und Aufruhr während des Hundertjährigen Krieges entstand ein vierter Kalender durch Uren din Jubai Fliegende Möve, einem Gelehrten der Meerleute, und wurde von dem Panarchen Farede von Tarabon weiterverbreitet. Dieser
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