Wolkenfern (German Edition)
verschwindet, die Schwimmflossen blitzen silbrig auf wie ein Fischschwanz, und schon ist sie weg; Dominika hat sich in den Kopf gesetzt, ein Wesen des Meeres nur dann essen zu können, wenn sie es selbst erlegt hat. Früher einmal wäre Jadzia vor Angst gestorben, jetzt spürt sie nur ein leichtes Ziehen in der Bauchnabelgegend. All ihren anfänglichen Sorgen zum Trotz war Jadzia im Lauf der in diesem seltsamen Haus verbrachten Sommermonate ruhiger geworden, und sogar ihr Drang zum Bemuttern und Füttern war schwächer geworden, zumal in dieser Küche die Männer, Dimitri und Ivo, das Sagen hatten und die Frauen sich nur blicken ließen, um zu kosten. Die ersten schwierigen Wochen hatte Jadzia gebraucht, um herauszufinden, in welchen Beziehungen die einzelnen Bewohner dieses Hauses an der Felsenküste zueinander standen, und das war so kraftraubend, dass sie für anderes keine Energie mehr hatte. Dominika und Dimitri, das war noch einigermaßen offensichtlich, aber hatte er ernsthafte Absichten gegenüber ihrer Tochter? Hatte er sich ihr schon erklärt oder, Gott bewahre, würden sie immer so in wilder Ehe leben? Und der kleine Ted, könnte sich Dominika ihm gegenüber nicht etwas mehr wie eine Mutter verhalten, anstatt mit ihm am Strand herumzutollen wie eine wild gewordene ältere Schwester? Von dieser ganzen Gesellschaft ist Sara die Einzige, die weiß, wie man mit einem Kind umgeht, und man sieht, dass sie doch ein ordentliches Mädchen ist, für Männer hat sie keinen Blick übrig; entweder sie spielt mit dem Kleinen, oder sie verschwindet den ganzen Tag mit Małgosia. Ach, wenn sich doch dieses magere Bürschchen, dieser Ivo, nur einen Ruck geben und mit Małgosia zusammentun könnte, dann müsste man nur noch für Sara den Passenden finden. Jadzia spielte die Möglichkeiten durch und seufzte, denn nach einem Gläschen Ouzo kamen ihr solch wahnwitzige Ideen in den Sinn, dass sie alles durcheinanderwarf; dann goss sie sich noch ein bisschen Ouzo nach und verdünnte ihn nach griechischer Gewohnheit mit Wasser.
Wo ist denn jetzt mein Kind schon wieder? Jadzia blickte über das dunkler werdende Meer, der Wind blies von Avlona immer mehr Wolken herüber. Da! Prustend taucht Dominika aus dem Wasser auf, nimmt die Tauchmaske ab und steht neben ihrer Mutter; ich habe einen Tintenfisch gefangen, sagte sie, die Jungs machen das heute zum Abendessen, Tintenfisch in Essig. Pfui, Jadzia ist nicht angetan, Pilze in Essig, das geht vielleicht noch, aber doch nicht so ein Meeresungeheuer. Ihre Tochter lächelt und tritt näher an die Mutter heran, keine Sorge, Mama, für dich macht Dimitri einen Salat. Heute noch nicht, aber irgendwann in nächster Zeit wird sie Jadzia und Dimitri sagen müssen, dass sie im Herbst wieder auf Reisen geht und nicht weiß, ob sie noch einmal nach Diafani auf der Insel Karpathos zurückkommt. Manchmal lässt dieser Reisedrang etwas nach, aber dann kommt eine Nacht, in der Dominika nicht schlafen kann und aus dem Haus geht, um die Schlafenden nicht zu stören; sie setzt sich an den Rand des Felsenabhangs und schaut aufs Meer. Dann spürt sie, dass sich dieser Drang nicht überlisten lässt. Plötzlich steigt ihr der Gestank verbrannten Fleisches in die Nase, sie sieht die Asche des Hauses ihrer Großmutter Zofia in Zalesie vor sich, die leere, verkohlte Stelle, an der sie etwas Neues aufbauen muss. Wenn sie einmal in der Woche das Tuten der Fähre hört, die in den Hafen von Diafani einläuft, weiß Dominika, dass sie zur Weiterreise bereit ist; der Anblick des am Horizont verschwindenden Schiffs, das ohne sie abfährt, lässt die Sehnsucht in ihr aufflammen. Das alles wird sie ihrer Familie sagen, aber noch nicht jetzt, soll dieser Augenblick noch etwas dauern. Mutter und Tochter Chmura sehen zu, wie die Boote zum Abendfang aus dem Hafen auslaufen, die kleinen nennen sich varka , sagt Jadzia, richtig, varka , lächelt Dominika; die Sonne verschwindet hinter den Bergen, die Schatten werden länger. Dominika atmet tief ein, und in der von Meeresduft getränkten Luft riecht sie Jadzias salzverkrustete und warme Haut; das ist so ein Augenblick, den sie in Erinnerung behalten und mit auf den Weg nehmen wird. Weißt du was, mein Kind, dieser Tinenfisch muss mir eine Erleuchtung gebracht haben oder so was, seufzt Jadzia, ich hab doch ein Gedächtnis wie ein Sieb. Vor der Abfahrt hat mich Onkel Kazimierz angerufen, das habe ich ganz vergessen, dir zu sagen; er war eben aus Japan zurück, da hatten sie
Weitere Kostenlose Bücher