Wolkenfern (German Edition)
wieder danach! Doch außer den fremden Fremden, die jedes Jahr herkommen, gibt es auch die fremden Hiesigen, eine neue Gattung in Diafani; noch weiß man nicht recht, wie man mit der Horde umgehen soll, die im Schlepptau der Familie Angelopoulos hier eingetroffen ist. Nicht nur die alte Foula, eine Verwandte von Omitantchen Foula, kennt den Stammbaum von Dimitri Angelopoulos und seiner Familie, denn hier sind alle verwandt, und viele Frauen tragen den Namen Foula. Dieses Jahr ist Dimitri mit Ted hier, an die beiden hat man sich in Diafani bereits gewöhnt. Diesmal ist Dimitris neue Gefährtin Dominika mit, die ständig Fotos macht; heute zum Beispiel hat sie eine Stunde lang das Brotbacken im Gemeinschaftsofen beim Hafen fotografiert, bis ich ihr, sagt die alte Eugenia, einen Laib gegeben habe, denn ich dachte mir, bestimmt hat sie Hunger, und von so einem Foto wird sie nicht satt. Maria erzählt, wie sie Dominika beigebracht hat, Oktopusse zu fangen, sie ist halt ein Stadtkind, ein bisschen zu dünn, doch eins muss man ihr lassen – sie schwimmt wie ein Fisch und versteht das Meer. Vor zwei Wochen kam eine Frau Doktor mit der Fähre aus Rhodos, die auch zu dem Angelopoulos-Tross gehört, na ja, über die kann man schön tratschen, sie sieht aus wie ein Junge und benimmt sich auch so, aber eins muss man ihr lassen – Wasilis’ gebrochene Hand konnte sie richten und wollte keinen Groschen dafür, und Foulas Katze hat sie bei der Gelegenheit gleich auch behandelt. Genauer betrachtet sieht sie sogar ein bisschen wie eine Karpatherin aus, ein kräftiges Mädel, verzieht nicht ohne Grund die Lippen. So eine Doktorin könnten sie hier gebrauchen, denn dieses blondierte Püppchen, das sie aus Athen hergeschickt hatten, ist nach drei Monaten abgehauen. Kino gibt es nicht, überallhin ist es weit, macht Eugenia die Ärztin aus der Stadt nach, niemand wird ihr hier eine Träne hinterherweinen. Genauso schön tratschen lässt es sich über die schwarze Frau mit den gelben Haaren, nach deren Hintern sich alle Männer im Kafenion und die Doktorin aus London umdrehen; die im Meer stehenden Frauen kichern. Ja, diese Sara ist wenigstens ein richtiges Weibsbild. Heute, sagt Foula, die von ihrem Haus mitten im Dorf aus alles sieht, sind sie zusammen im Morgengrauen in die Berge Richtung Tristomo-Bucht aufgebrochen, die Schwarze und die Doktorin, mit Rucksäcken. Die im Meer stehenden Frauen fragen sich, ob die beiden wohl über denselben Weg zurückkommen oder eine Runde durch Avlona machen werden und ob sie sich allein zurechtfinden oder ob man sie am Ende auf den unbeschilderten, distelbewachsenen Wegen wird suchen müssen, wie im letzten Jahr die fünf neunmalklugen Franzosen. Außerdem ist schon seit einem Monat ein junger Mann mit blasser Haut und schwarzen Haaren bei Dimitri und Dominika zu Gast, der abends auf der Hauptstraße flaniert, die nebenbei gesagt auch die einzige Straße ist, und selbstgemachte Süßigkeiten anbietet. Hier verteilt man kleine Tütchen mit Süßem, um eines Verstorbenen zu gedenken, und am Anfang wusste niemand, was dieser Fremde wollte, ob bei ihm einer gestorben war oder was. Foula lacht, sie hat gesehen, wie er mit Adonis geplaudert hat, dem Sohn von Cousin Wasilis, der für die Ferien aus San Francisco angereist ist; da haben sich zwei gefunden! Auch Dominikas Mutter Jadzia ist in diesem Jahr zu Besuch und wohnt in Dimitris neuem Haus, und sie wird von den Frauen in Diafani noch am ehesten akzeptiert, denn erstens ist sie Mutter, noch dazu Mutter einer Tochter, und zweitens hat sie eine Art, die den Frauen vertraut und nah verwandt vorkommt, das zu leugnen wäre ungehörig, auch wenn sie Jadzias Sprache nicht verstehen. Gleich kommt Jadzia sicher auch zu ihnen ins Wasser, sie kommt immer etwas später, und am Anfang hat sie sich so geniert, sich auszuziehen, dass sie in ein Handtuch eingewickelt ins Wasser ging und es dann ans Ufer warf. Dabei ist sie doch ein ganz ordentliches Weibsbild, sagt Eugenia; das meinst nicht nur du, lacht Foula, Kapitän Manolis hat offenbar auch seine Sirene gefunden.
Der alte Manolis, genannt Kapitän Manolis, wohnt ganz allein in einem baufälligen Haus bei der Kirche und lebt vom Fisch- und Krabbenfang. Neuerdings unterhält er sich immer häufiger mit Jadzia, man hat sie sogar schon manches Mal morgens zusammen am Anlegesteg gesehen. Unterhalten ist vielleicht nicht der beste Ausdruck; der alte Manolis erzählt etwas auf Griechisch, während er die Netze auf
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