Wolkengaukler
zugleich an. Ich stand auf, ein bisschen beschämt, aber gleichzeitig auch wütend. Was ich las, ging ihn ja wohl nichts an!
„Ja, ich denke schon, es ist nämlich nicht das, was du denkst. Und jetzt gib mir bitte das Buch zurück.“ Ich griff danach. Er dachte jedoch nicht daran, mir seine Beute kampflos zu überlassen, sondern streckte den Arm weit nach oben und ließ mich buchstäblich daran verhungern. Ich streckte mich, so gut ich konnte, angelte mich an seinem Körper hoch, aber die fehlenden fünf Zentimeter waren nicht zu überwinden.
Na gut, wenn ich nicht zu dem Ding hochkam, musste es eben zu mir herunterkommen! Also begann ich eine Rauferei mit Christoph! Wir balgten uns wie zwei kleine Jungen, rangen hin und her, ich klammerte mich an seinem Körper fest und versuchte, ihm ein Bein zu stellen. Schließlich schaffte ich es tatsächlich, dass er zu Boden ging. Aber vielleicht ließ er sich auch absichtlich fallen. Wir wälzten uns ein paar Mal auf dem Fußboden hin und her, erst lag ich auf ihm und dann er auf mir. Immer wieder entwand er sich geschickt meinem Griff, aber ich hatte das Gefühl, dass er sich auch nur allzu leicht wieder einfangen ließ. Wir lachten und prusteten, schimpften und fluchten, und schließlich gewann ich die Oberhand, nagelte ihn fest und blickte ihm mit einem triumphierenden Grinsen in die Augen, während ich ihm ganz langsam und siegesgewiss das Buch aus der Hand nahm.
Plötzlich bemerkte ich, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte, und er mich nicht mehr schmollend, sondern erstaunt und freudig zugleich anlächelte. Seine eisgrauen Augen funkelten aufgeregt. Jetzt spürte ich es auch: etwas Warmes, Hartes drückte gegen meinen Oberschenkel, und auch bei mir schien sich jemand verselbstständigt zu haben und seine eigene Freude zu empfinden. Mein Unterleib lag direkt auf Christophs weichem Bauch, so dass er es ebenfalls unweigerlich spüren musste.
Oh Gott, nicht das, nicht gerade jetzt!
Ich schloss beschämt die Augen, ließ seine Hand mit dem Buch darin los und rollte mich mit einem „Tut mir leid“ von ihm herunter. Dann stand ich schleunigst auf und verzog mich auf die Couch, winkelte die Beine an und igelte mich ein. Aber das tat mir weh. Natürlich, mein angeschwollenes Glied brauchte jetzt Freiheit und keinen Käfig. Also streckte ich die Beine wieder aus und drückte den Po so weit wie möglich in die Polster, zog unauffällig mein T-Shirt über den Schoß und hoffte, dass Tante Melanie noch ein paar Minuten in der Küche beschäftigt sein würde.
„Du solltest langsam lernen, damit umzugehen“, meinte Christoph leise mit einem vielsagenden Blick und warf mir das Buch zu. Ich fing es auf, bevor es schmerzhaft in meinem gerade sehr empfindlichen Schoß landen würde.
„Warum sollte Jann lernen, mit einem Buch umzugehen?“, fragte Tante Melanie, die gerade mit Salzstangen und Gläsern hereinkam. Sie musste das alles für einen Scherz halten.
Ich legte rasch das Buch beiseite, sicherheitshalber mit der Titelseite nach unten. Aber noch bevor ich etwas sagen konnte, warf sich Christoph mit Schwung neben mich auf die Couch, dass mir sein Pferdeschwanz über das Gesicht wedelte, und brummte: „Nicht nur mit einem Buch.“
Tante Melanie wurde misstrauisch, setzte eine strenge Miene auf und richtete einen vorwurfsvollen Blick auf ihren Sohn: „Was soll das heißen? Habt ihr euch etwa gestritten?“
Christoph lächelte sie liebenswürdig an: „Ach woher denn, Mama – schlimmer!“
Das schien sie noch mehr zu reizen. Schon wollte sie darauf etwas in schärferem Ton erwidern. Doch ein fast unmerkliches Kopfschütteln Christophs ließ sie innehalten. Stattdessen wandte sie sich dem Fernseher zu und informierte uns alle mit bemüht gleichgültiger Stimme: „Also gut, macht das unter euch aus. Jetzt fängt der Film an.“
Ich konnte mich nicht auf den Film konzentrieren. In meinem Kopf wirbelte alles durcheinander, und ich wurde langsam wütend darüber, dass jeder glaubte, ich hätte mich nicht unter Kontrolle, hätte von nichts irgendeine Ahnung! Und noch wütender war ich über die Gewissheit in mir, dass sie damit Recht hatten! Mit dieser Wut ging ich nach dem Film duschen und Zähne putzen, mit einem Grummeln im Bauch sagte ich Tante Melanie gute Nacht – Christoph bedachte ich nur mit einem Blick, der cool und arrogant wirken sollte - und dann verschwand ich in meinem Zimmer.
Einen Arm unter dem Kopf angewinkelt lag ich reglos im Bett und starrte
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