Wolkentaenzerin
Gemeinsam konnte man seine Wachsamkeit um die Hälfte reduzieren. Was geschah, wenn es nur einen Elternteil gab?, fragte sie sich. Musste Dave Martin die ganze Zeit über hundert Prozent geben? War er jemals vollkommen entspannt?
»Nein, lass uns heute fahren, heute Nachmittag.«
Chris ging zurück ins Schlafzimmer, wo sein Laptop und seine Unterlagen auf ihn warteten.
1. Januar 1994
Wir sind nach Hilton Head runtergeflogen, wo Daves Trainer eine Riesenparty geschmissen hat. Lauter arrogante Schnösel aus der Golferszene, unter anderem auch ein Geschäftsführer von Titleist, der findet, dass Dave die Tour sausenlassen soll, um für ihn zu arbeiten. Ausrüstungsherstellung und -tests, Promotion, all so was. Wir hatten beide zu viel getrunken, und als wir allein in einer Ecke des Raumes standen, sagte ich ihm, dass es keine so schlechte Option für einen vorzeitigen Ruhestand wäre. Er hat gelacht, aber es klang bitter. »Hast du mit meinem Vater gesprochen?«
Dann war er schnell wieder der lustige Dave, mischte sich unter die Leute und brachte eine Frau von Cartier dazu, ernsthaft mit ihm darüber zu diskutieren, ob sie ihn sponsern würde. Ich war eine Weile allein und unterhielt mich dann mit der Frau eines anderen Golfers an der Bar. Sie war hübsch und hätte gut in ein Golfmagazin gepasst mit ihren langen blonden Haaren, doch es gab auch eine andere Seite – drei Ohrlöcher und sehr respektlos, was das Golfspiel anging. Sie haben ein kleines Kind, und sie versucht, ihren Mann zu überreden, mit der Tour aufzuhören, weil er nie zu Hause ist. Sie will aber auch nicht meckern, weil es ja immer heißt, Belastung zu Hause belastet das Spiel. »Da heißt es wohl Spielgesicht, was?«, kommentierte sie nur trocken. »Wir müssen alle unser Spielgesicht aufsetzen.« Sie setzte ein verschlagenes Grinsen auf. »Los, lass uns rausgehen.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, fiel mir auf, dass Dave mich ansah, der anständige Dave Martin. ELIZABETH DEEEE, rief er, wie eine Ankündigung oder eine öffentliche Bekanntgabe bei einer Sportveranstaltung.
Da wurde mir bewusst, dass ich meine Entscheidungen nicht mehr allein traf. Jedenfalls nicht, wenn ich die in mich gesetzten Erwartungen nicht enttäuschen wollte. Nichts bleibt ohne Folgen …
Entscheidungen, Folgen. Kate stand auf und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Es war schon eigenartig mit Beziehungen – man veränderte seinen Lebensstil, machte Kompromisse, weil man einen bestimmten Menschen einem anderen vorgezogen hatte. Das galt für die meisten Entscheidungen. Die Folgen einer Entscheidung waren zu dem Zeitpunkt, an dem man sie traf, vielleicht nicht ersichtlich. Aber wenn man zurückdachte, war er da, der nicht gegangene Weg, der an Orte führte, an die man niemals gehen würde.
Piper kam ins Wohnzimmer geschlendert und verlangte nach Pfannkuchen. Ihr Blick war noch verschleiert und ließ vermuten, dass sie noch halb in ihren Träumen versunken war. Sie rollte sich mit ihrer Decke auf dem Sofa zusammen und steckte die Füße unter Kates linken Oberschenkel. Ihre kalten Zehen ließen Kate erschaudern, aber sie zog die Füße ihrer Tochter auf ihren Schoß und rieb sie warm. Es war ein Reflex, die eigene Bequemlichkeit für die der Kinder aufzugeben.
Kate streckte sich neben Piper aus und zog sie dicht an sich. Pipers Haare dufteten nach Eisenkrautshampoo, auch wenn Kate immer behauptete, sie dufteten nach Pennys und Mohrrüben, da sie die gleiche blasskupferne Farbe hatten wie Chris’ Haare. Bevor Kate das Tagebuch zuklappte und auf den Boden legte, las sie die letzten Zeilen des Eintrags.
… Eine Minute vor Mitternacht kam Dave wieder zu mir. Er wünschte mir: »Frohes neues Jahr, Miss Drogan!« Als man auf den Fernsehbildschirmen sah, wie die Silvesterkugel am Times Square heruntergelassen wurde, schrien alle durcheinander und spritzten mit Sekt herum, als hätten wir den Superbowl gewonnen. Dave küsste mich lange und intensiv und sah mich dann an, als würde er mich taxieren. Mit triefendem Pseudo-Georgia-Akzent sagte er: »Ich glaube, das wird ein großes Jahr für den Nachnamen Drogan. Er wird UNTERGEHEN.«
Als die Kinder ihren letzten Tag auf dem Bauernhof verbrachten, kam Kate nach dem Schwimmen zurück zum Haus und las auf der Veranda. Sie stellte ein Glas Eistee gegenüber vom Tagebuch auf den Tisch, als würde sie sich mit einer Freundin auf einen Drink treffen. Die Seiten der ersten Monate von 1994 flogen dahin. Elizabeths subtiler
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