Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
intensiver Betrachtung gewesen, so dass ich mich besorgt fragte, ob ich möglicherweise etwas falsch gemacht hatte. War es verboten, auf seinem eigenen Grundstück zu zelten? Hätte ich mir die Auszeit im Vorgarten vorher amtlich genehmigen lassen müssen? Inzwischen gab es so viele Vorschriften, dass ich auch mit einer offiziellen Auszeitgenehmigung rechnete.
Doch der Mann wirkte keineswegs verärgert. Im Gegenteil. Je länger er mein Nichtstun beobachtete, desto mehr hellten sich seine Gesichtszüge auf. Schließlich sprach er mich freundlich an.
»Ich möchte ja nicht indiskret sein, aber leben Sie hier draußen?«
Ich hatte keine Ahnung, wie er das meinte, verneinte jedoch vorsichtshalber, um mich nicht gleich festzulegen. Meine Antwort schien den Mann allerdings überhaupt nicht zu beeindrucken.
»Ich wünschte, ich hätte auch Ihren Mut.«
»Wie bitte?«, sagte ich fast empört.
Der Mann lächelte und nickte wissend, als wäre ihm alles klar.
»Ich heiße übrigens Wündisch, Volker Wündisch. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gerne einmal am Tag bei Ihnen vorbeikommen. Ich finde es wirklich bewundernswert, was Sie da machen. Wirklich ausgezeichnet!«
Noch ehe ich darauf antworten konnte, verabschiedete er sich und überquerte die Straße. Und dann begann ich probeweise, mein neues Leben einfach zu genießen.
Nachrede im
Vorgarten
Der Abschied von meinem Leben im Haus fiel mir leichter als gedacht. In relativ kurzer Zeit hatte ich mich im Vorgarten eingewöhnt. Im Zelt lebte ich wie in einer Höhle und war nur umgeben von Dingen, die ich wirklich benötigte. Ich vermisste nichts, nicht einmal meine Frau.
Seltsamerweise schien mich auch Jutta zunächst nicht zu vermissen. Ich bin immer davon ausgegangen, dass meine Frau keine zwei Tage ohne meine liebende Fürsorge auskommen würde. Offenbar ist das eine schwere Fehleinschätzung.
Die Frage, die ich mir beim Kauen meiner Mohrrübe manchmal stelle, ist: Brauchen uns die Frauen überhaupt noch? Längst bin ich mir nicht mehr hundertprozentig sicher, ob die Beziehung zwischen Mann und Frau angesichts der neuesten Entwicklungen überlebensfähig ist. Und bei diesen Entwicklungen, so scheint es mir, gerät der Mann eindeutig ins Hintertreffen.
Neulich sah ich auf einem Baugerüst zwei junge Frauen, die ihre biertrinkenden männlichen Kollegen lautstark ermahnten, wieder an die Arbeit zu gehen. Von Gerüsten hinter Frauen herpfeifende Männer werden vermutlich bald der Vergangenheit angehören. Ich habe nichts gegen Frauen auf Baugerüsten, aber dennoch überkommt mich leise Wehmut, wenn ich an die grobe, wiewohl herzliche Brüllerei männlicher Arbeiter zurückdenke. Später wird man sich daran erinnern, wie die Großmutter sich an den längst verschwundenen Gesang der Nachtigall vor ihrem Fenster erinnert. »Erinnerst du dich noch an die grobe, wiewohl herzliche Brüllerei der männlichen Bauarbeiter auf den Gerüsten?«, werde ich da meinen vermutlich männlichen Partner fragen.
So wie Europa zunehmend von China abgehängt wird, wird der Mann immer mehr von der Frau abgehängt.
Ich persönlich sehe diese Entwicklung inzwischen jedoch mit Erleichterung. Besser hätte es für mich eigentlich gar nicht kommen können. Ich habe keine Verpflichtungen, außer das Kaninchen zu füttern und das Gemüsebeet zu wässern und vom Unkraut zu befreien. Ich muss nicht mehr Karriere machen und brauche keine Familie zu ernähren. Ich muss niemandem zeigen, was ich alles kann, zumal ich festgestellt habe, dass ich nichts wirklich beherrsche. Ich sehe den Salat und die Tomaten wachsen und erfreue mich am Spiel des Kaninchens. Ich liege im Gras und betrachte die vorbeiziehenden Wolkengebilde, in die ich Tiere oder Gesichter hineindeute. Seitdem ich nichts mehr erwarte, erlebe ich alles viel intensiver. Wenn der Regen aufs Zeltdach prasselt, fühle ich mich als Teil des Universums. Es kann mir nichts passieren, seit ich den Tod nicht mehr fürchte. Oft liege ich stundenlang wach im Zelt und stelle mir vor, tot zu sein. Es ist kein großer Unterschied, denke ich, ob der Regen nun aufs Zeltdach oder auf die Erde über mir prasselt. Ich genieße einfach die Teilnahme am Kreislauf des Lebens und freue mich auf meine Wiedergeburt als Blume.
Mein entspanntes, vollkommen ehrgeizloses Leben zwischen dem Gemüsebeet und dem Kaninchengehege ist für Jutta ein durchaus ernst zu nehmendes Problem. Sie kann nicht verstehen, wie man sich mit gerade sechsundvierzig Jahren derart
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