Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Brusttasche.
Eine Weile beobachtete ich sie, schließlich konnte ich nicht mehr an mich halten.
»Wir bleiben doch Freunde, oder?«
Zoe blickte mich erstaunt an. Und dann sagte sie etwas, das mich sprachlos machte.
»Ich finde, du bist ein bisschen zu alt, um Pirat zu sein.« Sie lächelte bedauernd. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich sie endgültig verloren hatte.
Schon einen Tag später kehrte ich nach Hause zurück. Ich war jetzt bereit, den Irrtum zu beenden und mir die raue Luft der Wahrheit ins Gesicht wehen zu lassen. Mir fiel nämlich das Zelt im Keller wieder ein. Mein Entschluss, bis auf Weiteres im Vorgarten zu zelten, stand sofort fest.
Es war Mittag, und bis Jutta von der Arbeit kam, hatte ich genügend Zeit, mich im Vorgarten häuslich einzurichten. Allein für das Aufstellen des Zeltes brauchte ich zwei Stunden. Einen Teil der Gartenmöbel stellte ich neben das Zelt. Im Keller entdeckte ich außerdem eine Hängematte, die ich zwischen zwei Bäume spannte. Ich holte das Kaninchen und den Pappkarton aus meinem Zimmer und platzierte zunächst alles unter dem Baum.
Jutta kam an diesem Tag viel früher als üblich von der Arbeit zurück. Mich beschlich der Verdacht, dass Jutta meine vermeintliche Abwesenheit ausnutzte, um endlich weniger zu arbeiten. Womöglich wäre sie auch sonst früher nach Hause gekommen, hatte sich vor mir aber keine Blöße geben wollen, weil es mit ihrem Selbstverständnis als hart arbeitende Karrierefrau nicht vereinbar war.
Als Jutta den Wagen geparkt hatte und durch den Vorgarten zur Haustür ging, würdigte sie mich keines Blickes. Das heißt, um ehrlich zu sein, sie bemerkte mich einfach nicht. Dabei waren das Zelt und die Gartenmöbel eigentlich kaum zu übersehen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie nicht mitbekommen hätte, wie ich seit Wochen im Vorgarten zeltete. Dafür hatte ich die Unannehmlichkeiten allerdings nicht auf mich genommen. Ehe sie im Haus verschwand, hustete ich so laut, dass sie sich umdrehte und mich neben dem Zelt sitzen sah.
»Ich dachte, du wolltest eine Auszeit nehmen«, sagte sie, weniger verblüfft als vielmehr verärgert über meinen plötzlichen Sinneswandel.
»Das tue ich gerade«, sagte ich.
»Im Garten?«, fragte sie, als wäre es völlig abwegig, sich in seinem eigenen Garten eine Auszeit zu nehmen.
»Und ich werde hier so lange bleiben, bis klar ist, wie wir weiter miteinander leben wollen.«
Jutta sah mich lange an.
»Ich dachte immer, du zeltest nicht gerne«, sagte sie schließlich kopfschüttelnd.
»So kann man sich täuschen«, sagte ich übertrieben locker. Dabei hatte sie natürlich recht. Aber das brauchte ich ihr ja nicht ausgerechnet jetzt zu bestätigen.
Tatsächlich hatte ich in der ersten Nacht Mühe, überhaupt in den Schlaf zu finden. Immer wieder schreckte ich hoch, weil ich unbekannte Geräusche hörte. Und es gab eine Menge unbekannter Geräusche im Vorgarten. Vom Knacken eines Astes bis zum leisen Fiepen eines Vogels. Das heißt, mir war lange nicht klar, um welches Tier es sich dabei handelte. Auch Ratten oder Mäuse, womöglich sogar Marder oder Wildschweine kamen dafür infrage. In der Zeitung hatte ich oft von ganzen Wildschweingruppen gehört, die auf der Suche nach Nahrung marodierend durch die Gärten zogen. Die Vorstellung, von einem hungrigen Keiler im Zelt besucht zu werden, ließ mich nächtelang nicht zur Ruhe kommen. Auch Ameisen und Ohrenkäfer waren in meinem Zelt zu Gast. Aus diesem Grund stopfte ich mir vorm Einschlafen Watte ins Ohr, die am nächsten Morgen allerdings regelmäßig verschwunden war. Vermutlich diente sie den Ameisen als Nestbaumaterial. Bis ich herausgefunden hatte, dass das Fiepen von Ratte, dem Kaninchen, kam, vergingen mehrere Nächte. Erst da wurde mir bewusst, dass auch Kaninchen schlechte Träume haben konnten.
Während vor dem Zaun das Leben geschäftig weiterging, saß ich auf meinem Stuhl und tat, als hätte ich einige Tage Urlaub. Ich legte die Beine hoch und las Zeitung oder ein Buch. Manchmal legte ich mich in die Hängematte und döste vor mich hin. Es durfte nicht so aussehen, als würde ich ohne Grund einfach nur nichts tun. Nur im Urlaub war es normalerweise erlaubt, sinnlos vor sich hin zu leben.
Wenige Tage später tauchte plötzlich ein Mann auf. Hager, blass und schwermütig stand er eine Weile vor dem Zaun und blickte mich ratlos an. Zunächst wusste ich nicht, ob und wie ich auf ihn reagieren sollte. Ich war noch nie so lange Mittelpunkt
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