Women of the Otherworld 04: Pakt der Hexen
Hand vor uns hin und her, als wischte sie über Glas. Und da, an der Stelle, die sie freigewischt hatte, sah ich wie durch einen Tunnel eine Innenstadtstraße mit grellen N e onschildern. Ein Paar Scheinwerfer kam um die Ecke und genau auf uns zu. Ich drückte die Knie durch, um sicherz u stellen, dass ich nicht ausreißen würde. Das Auto schoss bis zum Rand des »Fensters« heran und ve r schwand.
»Das ist euer Miami«, sagte Eve und zeigte dann auf den Sumpf. »Dies hier ist unseres.«
Sie wischte mit der Hand über das Bild, und es löste sich auf. Ich tat ein paar Schritte; meine Schuhe machten qua t schende Geräusche im Schlamm.
»Bleib in meiner Nähe«, warnte sie. »Ich hab’s ernst gemeint, das mit den Dingern hier draußen, denen du nicht begegnen willst.«
Ich sah mich um und schüttelte den Kopf. »In der Gei s te r welt sind also alle Städte verschwunden?«
»Nee. Miami ist ein Spezialfall.«
»Wie sind die anderen Städte? Sehen sie aus wie die bei uns?«
»In etwa. Das ist das Coole dran. Sie sehen aus wie die richtige Version, aber sie hängen irgendwo in der Verga n genheit fest. An einem wichtigen Punkt in ihrer Geschic h te, ihrer Blütezeit oder so ähnlich.«
Ich sah mich um. »Miamis Blütezeit war also zu der Zeit, als es noch so eine Art Ursumpf war?«
Eve grinste. »Und seither ist es nur noch abwärts gega n gen, was? Oder vielleicht ist das Ganze auch eher met a phorisch gemeint.«
»Du hast gesagt, in den anderen Städten leben Geister. Was, wenn man nun in Miami gelebt hätte? Würde man dann umziehen müssen?«
»Die meisten Leute ja. Aber diese Dinger, die ich e r wähnt habe – die, die hier leben? Es gibt da ein Gerücht, dass sie früher mal –« Sie schnitt eine Grimasse und mac h te eine Bewegung, als schlösse sie einen Reißverschluss über ihren Lippen. »Keine weiteren Fragen, Paige.«
»Aber vielleicht sollte ich wissen –«
»Nein, solltest du nicht. Brauchst du auch nicht. Du willst einfach nur. Herrgott, ich hatte total vergessen, wie neugierig du bist. Als du klein warst, hätte ich geschw o ren, dein erstes Wort war nicht ›Mama‹, sondern ›w a rum‹.«
»Nur eine letzte –«
»Frage? Haha. Hast du eine Ahnung, wie oft ich darauf reingefallen bin?« Sie setzte sich wieder in Bewegung. »Nur eine letzte Frage. Ein letztes Spiel. Ein letztes Lied.«
»Ich meine doch bloß –«
»Hör auf zu reden und setz dich in Bewegung, sonst kriegst du mehr über diesen Sumpf raus, als du jemals wissen wol l test.«
56
Zeitweise blind
E
ve kannte sich im Miami der Geisterwelt aus, weil sie im Lauf der letzten beiden Wochen mehrfach hier gewesen war. Und der Grund, der sie in diesen Hölle n sumpf geführt hatte? Wir. Sie hatte ein Auge auf Lucas und mich gehabt, seit wir in Miami eingetro f fen waren. So, wie sie auch in regelmäßigen Abständen nach Sava n nah sah, seit diese bei Elena war. O f fenbar hatte sie das seit ihrem Tod getan, um sich davon zu überzeugen, dass ihre Tochter außer Gefahr war. Es war allerdings eine rein visuelle Überwachung, weil Eve noch nicht herau s gefu n den hatte, wie sie eine aktivere Beschützerrolle überne h men konnte. Unter diesen Umständen war es kaum übe r raschend, dass die Parzen ihre Versuche, Schutzengel zu spielen, nicht gern sahen. Sich in die B e lange der Lebe n den einzumischen war verboten. Selbst auf Angehörige zu achten, wie Eve es tat, war nicht e r wünscht. Um den Übertritt in die Geisterwelt zu volle n den, musste man alle Verbindungen zur Welt der Lebe n den abbr e chen. Und Eve hatte mit diesem Aspekt gewisse Schwierigke i ten.
Wir mussten zwei Meilen weit gehen, um die Stelle zu e r reichen, wo in der oberen Welt unser Hotel stand. Ich hoffte nur, dass Jaime dort war. Wenn nicht, stand uns eine längere Suche bevor.
Zwei Meilen war nicht allzu viel, wenn man die Größe von Miami bedachte, aber wenn man durch einen Sumpf ma r schiert, bis zu den Knöcheln im Matsch, und sich mit Hilfe von Feuerformeln seinen Weg durchs Gestrüpp bahnen muss, kommen einem schon wenige Meter wie Meilen vor. Glückl i cherweise hatte Eve sich bei ihren früheren Besuchen schon ein paar Pfade geschlagen, sonst wäre der Sumpf wirklich ziemlich unpassierbar gewesen. Die üppige Vegetation schloss die Lücken so schnell, dass man sie beinahe wachsen sah.
Als wir uns durch eine besonders dicht zugewachsene Ste l le hackten, glaubte ich einen Moment lang wirklich, ich könnte das Grünzeug wachsen sehen.
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