Woodstock '69 - die Legende
nur künstlerisch ein ganz anderes Kaliber als Havensâ brave »Handsome Johnny«-Elegie. Er hat auch weitaus mehr Durchschlagskraft, weil man ihm eine zumindest rudimentäre analytische Disposition nicht absprechen kann und weil er ganz konkrete Vorwürfe formuliert, die überdies seine seismographischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Gerade mit der hübsch perfiden letzten Strophe wird er den juvenilen Protestlern aus der Seele gesprochen haben, denn da schiebt er alles den Eltern in die Schuhe.
Well, come on mothers throughout the land
,
Pack your boys off to Vietnam
.
Come on fathers, donât hesitate
,
Send âem off before itâs too late
.
Be the first one on your block
To have your boy come home in a box
.
Michael Wadleighs »Woodstock«-Film zeigt etwas später den Port-o-San-Toilettenmann, wie er minutenlang die mobilen Latrinen reinigt. Man lobt seine Arbeit, er freut sich sichtlich darüber und so kommt er ins Plaudern. Er mache seinen Job gern, denn einer seiner Söhne sei auch gerade hier auf dem Festival. Und dann mit elternstolzem Lächeln: »Der andere ist in Vietnam, fliegt einen Helikopter.« Es ist genau diese gedankenlose Dummheit, die McDonald hier aufs Korn nimmt. Yippie-Führer Jerry Rubin stöÃt ins gleiche Horn. »Unsere Eltern führen einen Ausrottungskrieg gegen ihre eigenen Kinder«, wettert er in »Do it!«. »Alles ist schon da. Es bleibt nichts mehr zu tun. Unsere Existenz ist ein Verbrechen. Die nächste Stufe heiÃt Tod. Also zieht Amerika seine jungen Nigger ein und schickt sie in den Tod nach Vietnam.« 71
Die Eltern ihrer Generation haben ihre Fürsorgepflicht auf fatale Weise verletzt, das ist die communis opinio der Subkultur. Tobias Wolffs »In der Armee des Pharaos« kennt denn auch nur einen Helden, jenen verärgerten und besorgten Vater, der seinen Sohn am Abend vor der endgültigen Verlegung nach Vietnam ins Gebet nimmt und zur Desertion überredet. Wolff träumt daraufhin, wie bewaffnete Entführer seinen Bus zum Militärflughafen überfallen, wo die Maschine wartet, die ihn und die anderen jungen Männer an die Front bringen soll: »Der Fahrer hält an. Die Entführer hämmern auf die Tür ein, bis er sie öffnet. Sie kommen die Stufen hoch und den Gang entlang, leuchten jedem einzelnen ins Gesicht, bis sie diejenigen finden, nach denen sie suchen. Sie rufen unsere Namen, und dann wissen wir, wer hinter den blendend hellen Lampen steckt. Unsere Väter. Unsere Väter, die gekommen sind, um uns nach Hause mitzunehmen. Verrückt. Aber nicht so verrückt wie das, was sie wirklich taten â nämlich uns gehen zu lassen.« 72
McDonald und Woodstock sind sich einig. Die Menge singt so laut, dass er ihr den dritten Chorus fast ganz überlässt, aber ihr Einsatz kann ihn trotzdem noch nicht überzeugen. »Listen people, I donât know how you expect to ever stop the war if you canât sing any better than that. Thereâs about 300.000 of you fuckers out there. I want you to start singinâ. Come on â¦Â« Man könnte sich jedoch genauso gut fragen, was ihm Anlass zu dem Glauben gibt, dass die Qualität oder die Lautstärke ihres Gesangs in irgendeinem Zusammenhang mit dem Kriegsverlauf in Vietnam stehen könnte. Auch das wird eine der schönen Woodstock-Illusionen: Man muss nur laut genug singen, um die Welt zu verändern. Und dafür, dass Country Joe McDonald sie ihnen erstmals an diesem Wochenende und dann gleich so überzeugend vor Augen geführt hat, bekommt er stehende Ovationen. Tatsächlich, im »Woodstock«-Film kann man es sehen, die Menschen stehen plötzlich auf zum Applaudieren. Und John Morris, auch das hat Wadleighs Kameramann gerade noch eingefangen, fällt dem Künstler, seinem Künstler, denn schlieÃlich hat er ihm erst zu diesem Soloauftritt verholfen, freudig um den Hals.
Vielleicht ist Morris auch nur so gelöst, weil der nächste Musiker bereits in den Startlöchern steht. John Sebastian ist gar nicht offiziell gebucht, aber da er gerade hinter der Bühne gesichtet wird, fragt Morris bei ihm an. Er muss nicht lange überlegen. Seine Band The Lovinâ Spoonful hatte sich nach einem infamen Drogenskandal, in dem sich zwei Mitglieder von der Polizei als Spitzel anheuern lieÃen, gerade aufgelöst, und er versucht nun als Solokünstler Fuà zu fassen.
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