Woodstock '69 - die Legende
Woodstock kommt ihm also gerade recht. Und stoned genug, um nicht vor der Menge zu erschrecken, ist er ebenfalls. Das schlägt sich allerdings auch auf seine mentale Verfassung nieder. Er ist sehr mitteilungsbedürftig. In bunter Batik-Montur schreitet er auf die Bühne und »babbelte fünfundvierzig Minuten lang«, wie sich Bill Belmont erinnert. 73 John Morris ist drauf und dran, ihn wieder von der Bühne zu holen. Dass er gerade aus Kalifornien komme, wo er eine ganze Weile im Zelt gelebt und ihm ein Mädchen das Batiken beigebracht habe, erzählt er. Dass die Liebe überhaupt das Wichtigste sei und das Festival der gröÃte »Mindfucker« überhaupt. Und dass man sich liebhaben und beim Weggehen ein bisschen Müll mitnehmen möge. Irgendwann tritt Chip Monck an seine Seite und flüstert ihm noch was ins Ohr, das er dann auch gern weitergibt. Dass man nämlich auf seinen Nachbarn aufpassen müsse. Und dass es egal sei, was die Presse morgen schreibe â das hier werde klappen! Aber zwischendrin spielt er auch mal den einen oder anderen Song. »How Have You Been«, »Rainbows All Over Your Blues«, »I Had A Dream«, »Darlinâ Be Home Soon« â zärtliche, lammfromme, leicht angekitschte, aber in den besten Momenten auch bewegende Folk-Jeremiaden. In einer kurzen Pause ruft Chip Monck einen Mann aus, dessen Frau gerade ein Baby bekommen hat. Eine schöne Einleitung für »Younger Generation«, das Sebastian dann auch den beiden widmet. 74 In diesem bemerkenswert selbstreflexiven Song geht es einmal nicht um die Verständigungsprobleme der Hippies mit ihren Eltern, sondern mit ihren eigenen Nachkommen. Sebastian dreht den Spieà gewissermaÃen um. Auch ihre Kinder werden irgendwann Ansprüche an sie stellen, die ihnen Sorgen bereiten:
Like, hey pop, can I go ride my zoom?
It goes twohundred miles an hour
,
suspended on balloons
.
And can I put a droplet
of this new stuff on my tongue?
And imagine puffing dragons
,
while you sit and wreck your lungs
.
Und das Kollektiv-Ich des Songs hat nur eine Wahl, wenn es nicht wie die Vorgänger-Generation die Beziehung aufkündigen und als »square« verschrien werden will: »I must be permissive, understanding of the younger generation.«
Sebastian patzt in der Mitte der Songs. »And then I know that all Iâve learned, my kid« muss er dreimal wiederholen und sogar das Publikum um Beistand anrufen (»Help me!«), bis ihm »assumes« endlich einfällt â so als wäre es ihm selbst nicht ganz geheuer, dass alles Erlernte so einfach auf den Nachwuchs übergehe. Berechtigte Skepsis, die in der letzten Strophe noch einmal zum Ausdruck kommt:
And hey pop, my girlfriendâs only three
.
Sheâs got her own bitty phone, and sheâs taking LSD
.
And now that weâre best friends
,
she wants to give a bit to me
.
But whats the matter, daddy?
How come you looking me?
Can it be that you canât live up to your dreams?
»No, itâs not true, because weâre doinâ it!« ruft er nach dem letzten Ton ins Publikum. Die leise Besorgnis, dass man möglicherweise auch mal erwachsen wird und seine Träume aus dem Blick verliert und dass einen die eigenen Kinder dafür verachten könnten, wird also fürs Erste beiseite gewischt. Aber wenigstens hat er sie formuliert.
John Morris ist mittlerweile an dem Punkt angelangt, an dem er jeden gebrauchen kann, der sich auf die Bühne traut. Als man ihm zuträgt, dass ein indischer Guru angefragt habe, ob er zu den Menschen sprechen dürfe, fackelt er nicht lange. »Vermutlich hätte ich das unter gewöhnlichen Umständen nicht mal zehn Sekunden in Erwägung gezogen«, konstatiert er, aber Swami Satchadinandas Segnung sei dann doch groÃartig gewesen und habe die Stimmung positiv beeinflusst. 75 Steve Booker, damals Schlagzeuger von Tim Hardin und Swami Satchadinandas späterer Schüler, überliefert ein paar Zeilen. »Die Zukunft der ganzen Welt ist in eurer Hand«, soll er gesagt haben. »Ihr könnt sie neu erschaffen oder zerstören. Aber ihr seid gewiss hier, um die Welt neu zu erschaffen und nicht zu zerstören. Hier ist lebendige Energie. Hier treffen Herzen aufeinander. Ich frage mich wirklich, ob ich im Osten oder im Westen bin. Wenn man Bilder dieser Versammlung in Indien zeigt, werden die Leute dort mit Sicherheit nicht glauben, sie
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