Working Mum
den Zeugenstand.»
Die Angeklagte war verstört, als sie ihre Mutter den Zeugenstand betreten sah, um gegen sie auszusagen, aber da war irgendetwas an deren Erscheinung, das sie auf seltsame Weise aufmunternd fand. Sie brauchte ein paar Sekunden, um es zu identifizieren: Mum trug die rote Kaschmirjacke, die Kate ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, über der Liberty-Bluse mit dem Blumenmuster, die sie ihr zum vorletzten Geburtstag gekauft hatte. Die Sachen, die sie für Anlässe aufgehoben hatte, wurden zum ersten Mal getragen.
«Nennen Sie uns bitte Ihren vollständigen Namen.»
«Jean Katharine Reddy.»
«Und in welcher Beziehung stehen Sie zu der Angeklagten?»
«Kath … Katharine ist meine Tochter. Ich bin ihre Mutter.»
Der Vertreter der Anklage ist nun aufgestanden, er trippelt auf den Zehenspitzen vor Aufregung. «Mrs. Reddy, ihre Tochter wird beschuldigt, ihren Beruf über das Wohlergehen ihrer Kinder zu stellen. Können Sie bestätigen, dass das eine zutreffende Beschreibung des Sachverhalts ist?»
«Nein.»
«Sprechen Sie lauter, bitte», bellt der Richter.
Mum versucht es noch einmal. Sie ist sichtlich nervös und zerrt an ihrem Armband mit den Anhängern. «Nein, Katharine liebt ihre Kinder von ganzem Herzen, und sie arbeitet sehr schwer, das hat sie schon immer getan. Sie will vorankommen und dazulernen.»
«Ja, ja», blafft der Vertreter der Anklage, «aber wenn ich recht im Bilde bin, lebt sie zurzeit nicht mit ihrem Ehemann zusammen. Er hat sie mit den Worten verlassen, sie ‹nehme seine Anwesenheit nicht mehr zur Kenntnis›.»
Die Frau im Zeugenstand stößt ein leises Stöhnen aus. Kates Mutter weiß nicht, dass Richard Kate verlassen hat.
Aber Jean Reddy steckt diesen Schlag weg wie ein Boxer und holt zu einem großartigen Gegenschlag aus: «Niemand behauptet, es sei leicht. Männer wollen versorgt werden, und das ist schwer für eine Frau, wenn sie auch noch ihre Arbeit hat. Vieles beansprucht Kaths Zeit, ich habe selbst manches Mal gesehen, wie sie sich krank macht deswegen.»
«Mrs. Reddy, sagt Ihnen der Name Jack Abelhammer irgendetwas?», sagt der Staatsanwalt mit einem schnellen, verkniffenen Lächeln.
«Nein. Nein!» Die Angeklagte ist über die Absperrung geklettert und steht in einem XXXL-Gap-T-Shirt mit Dackelmotiv vor dem Richter. «Gut, was wollen Sie von mir hören? Schuldig? Wollen Sie das von mir hören? Sie schrecken wirklich vor nichts zurück, wenn es darum geht zu beweisen, dass ich nicht in der Lage bin, mein Leben zu leben, was?»
«Ruhe!», dröhnt der Richter. «Mrs. Shattock, noch eine Unterbrechung, und ich kriege Sie wegen Missachtung des Gerichts dran.»
«Gut, das ist in Ordnung, denn ich verachte dieses Gericht aus ganzem Herzen und jeden Mann, der hier sitzt.» Und dann fängt sie an zu weinen, und sie verflucht sich dabei für ihre Schwäche.
«Jean Reddy», fährt der Vertreter der Anklage fort, aber die Zeugin hört ihm nicht zu. Sie ist aus ihrem Zeugenstand getreten, geht auf die weinende Frau zu und schließt sie in die Arme. Dann wendet sich die Mutter an den Richter: «Und wie sieht das bei Ihnen aus, Eurer Ehren? Wer kocht heute Abend Ihr Essen? Sie nicht, hab ich Recht?»
«Um Himmels willen», prustet der Richter.
«Leute wie Sie verstehen Frauen wie Katharine einfach nicht. Und Sie denken, Sie könnten über sie richten. Schämen Sie sich», sagt Jean Reddy ruhig, aber mit der Kraft, die Generationen von Kindern immer dann wahrgenommen haben, wenn sie einen Streithammel auf dem Spielplatz zur Rechenschaft gezogen hat.
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Baby, du allein
An dem Tag, an dem Seymour Troy Stratton zur Welt kam, verursachte ein Coup in Quatar Turbulenzen beim Ölpreis, und rund um den Globus stürzten die Stammaktien ab, was von einem nie da gewesenen Kursanstieg der mächtigen Federal Reserve noch unterstützt wurde. Allein in Großbritannien wurden bei den im FTSE gelisteten 100 Unternehmen 20 Milliarden Pfund ausgelöscht. Ein kleineres Erdbeben in der Nähe von Kyoto sorgte für weitere Schockwellen in einem bereits erschütterten globalen Umfeld. Nichts von alldem wirkte sich nachteilig auf Mutter und Kind aus, die friedlich in ihrer von Gardinen abgeschirmten Zelle im dritten Stock der Entbindungsstation in der Gower Street schlummern.
Während ich den Flur entlang zu ihnen gehe, werde ich von meinen eigenen Erinnerungen an diesen Ort überwältigt. Die Hebammen in ihren blauen Anzügen, die grauen Türen, hinter denen der großartige
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